Full text: [Bd. 1 = 1. Schulj. [Schülerband]] (Bd. 1 = 1. Schulj. [Schülerband])

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34. Harun al Raschids Traum. 
Harun al Raschid träumte, alle seine Zähne seien ihm aus- 
gesallen. Er ließ einen Traumdeuter kommen und fragte, was 
der Traum zu bedeuten habe. „Deiner wartet ein großes Un¬ 
glück," sagte der Traumdeuter, „wisse, du wirst alle deine Verwandten 
sterben sehen!" Der Kalif ergrimmte über den ungünstigen Spruch, 
ließ ihm hundert Streiche auf die Fußsohlen geben und einen anderen 
Ausleger rufen. Dieser antwortete auf die Frage, was der Traun: 
bedeute: „Heil meinem gnädigen Herrn! Dein Traum bedeutet ein 
großes Glück; du wirst länger als alle deine Verwandten leben!" 
Da freute sich der Kalif und ließ ihm hundert Dukaten reichen. 
Im Grunde hatten beide dasselbe gesagt. So vieles kommt an aus 
Art und Wendung. Nach H. Mehl. 
35. König und Handwerksbursche. 
Ein König, der alles glaubte, was ihn: erzählt wurde, ver¬ 
sprach demjenigen, der ihm etwas sagen würde, was er nicht glaube, 
die Hand seiner Tochter und seinen Thron. Da kamen viele Leute 
herbei, die schwatzten ihm allerlei Lügen vor, aber der König glaubte 
alles. Eines Tages meldete sich auch ein Handwerksbursche, der er¬ 
zählte : „Ich ging einmal hinaus auf das Feld, baute mir Hanf an 
und sieh da! er ging schnell auf und wuchs so hoch wie ein Kirch¬ 
turm. Da versuchte ich es an dem Hanf emporzuklettern und es 
gelang mir auch; denn der Hanf wuchs kerzengerade in die Höhe. 
Als ich nun ganz oben war, wollte ich wieder hinabgleiten, aber 
plötzlich stürzte ich hinunter und fiel mehrere Fuß tief in die Erde 
hinein. Darüber erschrak ich so sehr, daß ich schnell nach Hause lief, 
einen Spaten holte und mich damit aus dem Boden herausgrub." — 
„Auch das glaube ich dir!" sagte der König. Der Handwerksbursche 
fuhr fort: „Nach einigen Tagen lief ich wieder auf das Feld, kletterte 
abermals am Hanf empor und gelangte gar bald in den Himmel. 
Dort war es schön und alles glänzte wunderbar. Engel flogen 
umher und sangen Loblieder zu Ehren Gottes. Da sah ich auch 
meine geliebten Eltern mit goldenen Kleidern angetan. Die fuhren 
in einem goldenen Wagen und nickten mir freundlich zu. Und als 
ich ein Stück weiter wanderte, da, mein König, begegneten mir dein 
Vater und deine Mutter; sie gingen in: Bettelkleid und sprachen 
mich um eine Gabe an."
	        
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