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Aus der Kammer der Witwe war der Mondschein 
gänzlich wieder verschwunden, als sie fröstelnd zurückschlich 
aus der Stube. Noch immer schlief Hans Unwirrsch fest 
und erwachte auch nicht von dem Kuß, den die Mutter auf 
seine Stirn drückte. Auch die Lampe erlosch und die Frau 
Christine schlief bald so sanft wie ihr Kind. — Um das 
Bett des Königs Salomo standen mit Schwertern in den 
Händen sechzig Starke, geschickt zum Streiten „um der 
Furcht willen in der Nacht“; zu Häupten der Witwe und 
ihres Kindes jedoch stand ein Geist, der bessere Wache 
hielt als alle Gewappneten in Israel. 
Wilhelm Raabe. 
—%r~An meinen Sohn Johannes. 
Gold und Silber habe ich nicht; 
was ich aber habe, gebe ich dir. 
Lieber Johannes ! 
Die Zeit kommt allgemach heran, daß ich den Weg gehen 
muß, den man nicht wieder kommt. Ich kann Dich nicht mit¬ 
nehmen und lasse Dich in einer Welt zurück, wo guter Rat nicht 
überflüssig ist. 
Niemand ist weise von Kindheit an; Zeit und Erfahrung 
lehren hier und fegen die Tenne. 
Ich habe die Welt länger gesehen als Du. 
Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzt, und ich 
habe manchen Stern vom Himmel fallen und manchen Stab, auf 
den man sich verlief, brechen sehen. Darum will ich Dir 
'einigen Rat geben und Dir sagen, was ich funden habe und 
was die Zeit mich gelehret hat. 
Es ist nichts groß, was nicht gut ist, und ist nichts wahr, 
was nicht bestehet. 
Der Mensch ist hier nicht zu Hause und er gehet hier 
nicht von ungefähr in dem schlechten Rock umher. Denn 
siehe nur, alle andere Dinge hier, mit und neben ihm, sind und 
gehen dahin ohne es zu wissen; der Mensch ist sich bewußt 
und wie eine hohe bleibende Wand, an der die Schatten vor-
	        
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