Full text: Klasse 6 (fünftes Schuljahr) (Teil 4, [Schülerband])

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spielen? jene lustigen Flügel, die im Frühling unsere Seele so freudig 
mit in den Himmel hoben und die im Herbst so matt herabfallen und 
auch uns zurufen: Hinab! hinab!? Ein welkes Blatt, langsam und 
lautlos niedersinkend zu tausend lautlos dahingesunkenen Blättern, vom 
mitleidigen Strahl leise und doch vergebens umspielt — o, wie rührt 
dieser Anblick immer von neuem das Gemüt! Im Nadelwald tritt er 
uns nicht entgegen, und wie wir da das Sterben der Natur nicht sehen, 
so sehen wir da auch nicht ihre verjüngte Lenzgestalt. Es scheint, als 
sei die Nadel ohne Empfindung des Lichtes und des Lebens. Der 
Frühling, der Winter geht an ihr vorüber, und wenn sie nach Jahren, 
ja nach einem Jahrzehnt vom Baume bricht, sprangen längst unzählige 
andere hervor. 
Ebenso dürftigeinfach wie der Blattwuchs ist auch die Zweig- und 
Stammbildung und selbst die Umgebung der Bäume. Hier (im Schwarz¬ 
wald) darf man nicht die wechselvollen Gestalten und Trachten des 
Laubholzes suchen. Einförmig steigt die gerade Linie der Stämme empor, 
in regelmäßigem Winkel ein Stockwerk von Zweigen auf das andere 
setzend. Der ganze Umriß des Waldes ist scharf, wandartig starr und 
dicht, die lockern Linien der Laubbäume fehlen durchaus. Kein duftiges 
Geißblatt, kein flatternder Hopfen schlingt seine Windungen um den 
ehrwürdigen Trotz alterzerrissener Stämme; keinen lustigen Busch, keinen 
blühenden Dorn dulden die düsterschatlenden Gänge; spärlich unterbrechen 
Blumen den Moosteppich, und auch das Lied der Vögel klingt einsam 
durch die Stille. Nur das weichere Abendlicht scheint zu diesen Bäumen 
zu stimmen; das taufrische, heiterkräftige Bild eines Morgens im Walde 
gibt ein Tannicht verhältnismäßig am wenigsten. 
Aber was dem Nadelwalde in dieser Weise abgeht, ersetzt sich in 
anderer, und niemand wird den dunkeln Forsten des Harzes oder des 
Erzgebirges eigenartige Schönheit absprechen wollen. Schon, daß sie 
allein fortgrünen mitten in der weißen Nacht des Winters, ist ein 
Vorzug, der viele Mängel aufwiegt und diese Wälder dem Menschen 
gleichsam näher ans Herz pflanzt. Am wenigsten schön ist der Kiefer- 
wald. Über sandige Ebenen hinziehend, mit einer trübstaubigen, schwülen 
Atmosphäre erfüllt, ermüdet sein ödes Einerlei, das noch entschieden 
an die Unwirtlichkeit der Heiden erinnert. Die eintönige Linie des 
Bodens läßt die Eintönigkeit der Pflanzenform in ihrer ganzen Armut 
hervortreten. Nur am Rande, wenn Wind und Sturm die Flanken des 
Waldes fassen, heben sich aus der Masse einzelne malerische und oft
	        
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