Dädalus und Ikarus.
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Künstler, der damals lebte, Dädalus. Der Bau hatte so
verworrene und durcheinanderlaufende Gänge, daß die
armen Opfer, die hineingeführt wurden, sich notwendig ver¬
irren mußten und niemals wieder den Ausgang fanden.
Dann kam der Minotaurus und fraß sie. Der Bau aber
hieß das Labyrinth.
Minos wollte nicht, daß Dädalus anderswo das Ge¬
heimnis dieses kunstvollen Bauwerks verriete, darum ließ
er ihn nicht aus Kreta fortziehen, sondern hielt ihn in
strenger Haft. Da saß er denn mit seinem Söhnchen Ikarus
in einem hohen Turm und sann, wie er mit seinem Kinde
entfliehen könne. Minos hat mir den Weg übers Meer
versperrt, so will ich denn den Weg durch die Luft neh¬
men, die kann der König nicht sperren! so sprach Dädalus
zu sich. Er beobachtete nun genau den Flug der Vögel,
und wie ihre Flügel eingerichtet sind, womit sie sich durch
die Lüfte tragen lassen.
Er verschaffte sich Vogelfedern und legte sie so neben¬
einander, daß ein riesengroßer Flügel entstand, zuerst
lange Federn, dann immer kürzere, und alles in Bogen
und gewölbt. Mit Fäden und mit Wachs wurden die Federn
zusammengehalten. Der Knabe stand dabei und sah ver¬
wundert das Kunstwerk sich bilden, er half das gelbe Wachs
kneten und blies zum Spiel in die Flaumfedern, daß sie
sich bewegten.
Als ein Flügelpaar vollendet war, legte Dädalus es
an, prüfte die Schwingen, und siehe da! es ging ganz
gut, er hob sich, schwebte und lernte bald auch steuern.
Voller Freude schuf er nun auch ein kleineres Flügelpaar,
legte es dem Knaben an und übte mit ihm so lange, bis
er zuletzt auch schweben und steuern konnte. Dann belehrte
er ihn, daß er immer hinter dem Vater her fliegen müsse,
nur nicht tiefer, damit nicht die feuchte Luft die Flügel
beschwere und er hinabgezogen würde ins Meer. Aber er
dürfe auch nicht zu hoch fliegen, denn dann käme er der
Sonne zu nahe, und d>as Wachs könne leicht schmelzen.