Full text: Klasse 5 (sechstes Schuljahr) (Teil 5, [Schülerband])

krächzt von Dohlen und Turmfalken. Von einem dieser Türme nun 
wird folgendes erzählt: Als in den ersten Jahren des Dreißigjährigen 
Krieges spanische Scharen das Rheinland verwüsteten, kam auch eine 
Abteilung Spanier gen Kaub und eroberte es in wenig Tagen, da der 
Kommandant, wie das ja öfter so geht, es eben vorzog, sich rasch zu 
ergeben. Nur einer der Türme, der mitten in der Stadt sich erhob, 
wurde nicht geöffnet. Vergebens waren alle Aufforderungen des Feindes, 
sich aus Gnade oder Ungnade zu ergeben; die kleine Besatzung hielt 
tapfer stand, und mancher Spanier verlor durch wohlgezielte Schüsse aus 
den Schießscharten des Turms sein Leben. Von Zeit zu Zeit erschienen 
über der Brüstung oben, vorsichtig spähend, einige Köpfe, aber man 
konnte gegen die tapferen Verteidiger nichts ausrichten. Stürmen konnte 
man nicht, denn diese Türme haben ihre Eingangstür zwanzig und mehr 
Fuß über dem Erdboden, da mußte man Leitern anlegen; und ehe es 
dahin kam, schossen die von oben die Leiteranleger einzeln tot. Die 
Spanier hatten auch keine schweren Geschütze, und so blieb vier Wochen 
lang alles unverändert. Der Feind war zwar im Besitze der Stadt, 
allein dieser Besitz war immerhin unvollständig, denn jeder vermied die 
Nähe des verhängnisvollen Turms, schlich sich auf Umwegen um ihn 
herum oder schaute ängstlich von ferne hinüber. 
Endlich, nach vier Wochen, erschien eine weiße Fahne am Turm, das 
Zeichen, daß man unterhandeln wolle. Eine Trompete schmetterte, und 
als man durch Gegenzeichen zu verstehen gab, daß man zu Verhandlungen 
geneigt sei, erschien ein bärtiger Krieger oben an der Brüstung, während 
gleichzeitig die drohend aus den Mauerluken ragenden Musketenläufe 
verschwanden. Die Besatzung erklärte sich bereit, den Turm zu über¬ 
geben, jedoch nur, wenn ihr freier Abzug gestattet würde. Die Position 
-war zu wichtig, und darum, wie auch in Anbetracht der glänzenden und 
ehrenvollen Verteidigung, wurde die Forderung bewilligt. Neugierig 
pflanzten sich sämtliche Spanier unten am Turm auf, um endlich ihre 
tapferen, geheimnisvollen Feinde von Angesicht zu Angesicht zu schauen. 
Die Trommeln wirbelten, — jetzt sollte der feierliche Akt vor sich gehen. 
Nicht lange, so hörte man mühsam einen Schlüssel sich drehen, eine Tür¬ 
angel knarrte, die Turmtür oben tat sich auf, eine Leiter senkte sich her¬ 
nieder, und die Besatzung kletterte gravitätisch die Sprossen herunter: 
ein alter, bärtiger Feldwebel voran, ihm folgte sein Weib und nach dem 
Weibe — eine dürre Geiß, niemand mehr und niemand weniger! 
Diese drei waren die einzigen Insassen des Turmes
	        
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