— 46
X
Stil. Der niedere Stil ist schlicht und
einfach und verzichtet auf reichen Rede—
schmuck; er ist an der Stelle, wo es
sich um Belehrung und Mitteilung, nicht
um eine lebhafte Einwirkung äuf die
Phantasie und das Gemüt handelt. Ist
letzteres die Absicht des Schreibenden,
so tritt der mittlere Stil ein, wo die
Sprache bilderreicher und wärmer, die
Darstellung anschaulich und eindringlich
wird. Ist schließlich der Darstellende selbst
mächtig von dem Gegenstande ergriffen,
so erhebt er sich zu dem erhabenen Stil;
er greift zu kraftvolleren Redefiguren,
zu kühneren Bildern, läßt in seiner ganzen
Darstellung die Größe und Würde des
Gegenstandes und den lebhaften Eindruck,
den er selbst davon empfindet, wider—
spiegeln. Man unterscheidet ferner den
poetischen und den prosaischen Stil, spricht
von einem Geschäftsstil und von einem
Stil der erzählenden und der belehrenden
Prosa u. dgl. Von einem besonderen
Briefstil kann man nur insofern reden,
als Unterschiede in der Form der Brief—
sprache durch die Person bedingt sind,
an die der Brief gerichtet wird.
2. Die Eigenschaften einer guten sprach—
lichen Darstellung sind dreifacher Art:
1. grammatische, die sich auf die sprach—
liche Richtigkeit beziehen, 2. logische, die
sich auf die Klarheit der Gedanken und des
Gedankenausdrucks, und 3. ästhetische,
die sich auf die Schönheit der Darstellung
beziehen.
a. Grammatische Eigenschaften einer
guten sprachlichen Darstellung.
Die grammatischen Eigenschaften einer
guten sprachlichen Darstellung sind Sprach—
richtigkeit und Sprachreinheit.
a. Sprachrichtig (korrekt) ist die Dar—
stellung, wenn sie die allgemein gültigen
Gesetze der Grammatik rücksichtlich der
Bildung, Veränderung und Verbindung
der Wörter befolgt.
b. Rein ist die Darstellung, wenn sie
Wörter und Verbindungen vermeidet, die
der Sprache fremd sind.
Anmerkung; Verstöße gegen die Sprach—
richtigkeit sind a. solche Fremdwörter,
für die es im Deutschen an einem ent—
sprechenden Ausdrucke nicht fehlt);
Man ist bequem, zu suchen jedesmal
Das deutsche Wort, das dem genau
entspricht,
Was man zu sagen wirklich willens ist.
Ein fremdes Wort ist uns geläufiger,
) —
b. Ausdrücke, die nur in bestimmten
Gegenden des Landes gebräuchlich sind;
c. veraltete Ausdrücke; d, dem Sprach
gebrauch zuwiderlaufende Neubildungen
von Wörtern.
b. Logische Eigenschaften einer guten
sprachlichen Darstellung.
Die logischen Eigenschaften einer guten
sprachlichen Darstellung sind Klarheit,
Bestimmtheit, Kürze und Einheit.
a. Klar ist die Darstellung, wenn ihr
ein vollständiger Gedanke zugrunde liegt
und dieser Gedanke durch die Worte ver—
—EI ——ss
Anmerkung 1. Nur was klar gedacht ist,
kann klar geschrieben werden.
Anmerkung 2. Verstöße gegen die Klar—
heit sind Dunkelheit und Unsinn.
Dunkelheit entsteht namentlich durch den
Gebrauch nicht üblicher Ausdrücke, durch
falsche Satzzeichen, durch übertriebene
Kürze oder Weitschweifigkeit (Anhäufung
von Nebensätzen) und durch Zweideutig—
keit. Unsinn entsteht, wenn man über
Dinge schreibt, von denen man nichts
versteht, Ausdrücke anwendet, deren
Gebrauch man nicht kennt, Begriffe mit—
einander verknüpft, die ihrem Wesen nach
unvereinbar sind, ferner durch falsche
Beziehung oder Wortstellung.
b. Bestimmt ist die Darstellung, wenn
für den zu bezeichnenden Gedanken immer
der bezeichnendste Ausdruck gewählt wird,
so daß der Leser sich gerade das dabei
denken muß, was der Schreibende hat
sagen wollen.
Anmerkung. Man verstößt gegen die
Bestimmtheit, wenn die Bedeutung eines
Wortes zu allgemein ist, wenn man
sinnverwandte Wörter miteinander ver—
wechselt oder unnötige Umschreibungen
macht.
c. Kürze zeigt die Darstellung, wenn sie
alles Überflüssige im Ausdruck meidet.
Anmerkung 1. Der höchste Grad der
Kürze ist Gedrängtheit. Verstöße
gegen die gebotene Kürze in der Dar—
stellung begeht man durch breite Aus—
dehnung eines Gedankens, der in kürzerer
Form hätte gegeben werden können, durch
unnötige Abschweifung von dem eigent—
lichen Gegenstande der Darstellung, durch
Und wir gebrauchen's, weil's bedeuten
kann
Bald dies, bald das und so denn hier
auch paßt.
Hoffmann v. Fallersleben.