1. Ein Sonntagmorgen. ^
Der Sonntag kam am Himmel herauf, hell, klar, wunderschön.
Die dunkelgrünen Gräslein hatten mit demantenen Kränzlein ihre Stirnen
geschmückt und funkelten und dufteten in Gottes unermeßlichem Tempel.
Tausend Finken, tausend Amseln, tausend Lerchen sangen ihre Lieder; wei߬
bärtig, ernst und feierlich, aber mit den Rosen der Jugend auf den gefurch¬
ten Wangen sahen die alten Berge auf all diese Herrlichkeit hernieder, und
als Priesterin Gottes erhob sich hoch über alle die goldene Sonne und
spendete in funkelnden Strahlen ihren Segen. Der tausendstimmige
Gesang und des Landes Herrlichkeit hatten den Bauer früh geweckt, und
er wandelte andächtigen Gemüthes dem Segen nach, den ihm Gott be¬
schert hatte. Er durchging mit hochgehobenen Beinen und langen
Schritten das mächtige Gras, stand am üppigen Kornacker still, an den
wohlgeordneten Pflanzplätzen, dem sanft sich wiegenden Flachse; er be¬
trachtete die schwellenden Kirschen, die von kleinen Früchten starrenden
Bäume mit Kernobst, band hier etwas auf und las dort etwas Schäd¬
liches ab und freute sich bei allem nicht nur des Preises, den es einstens
gelten, nicht nur des Gewinnes, den er machen werde, sondern des Herrn,
dessen Güte die Erde voll, dessen Herrlichkeit und Weisheit neu ist jeden
Morgen. Und er gedachte: wie alles Kraut und jedes Thier jetzt den
Schöpfer preise, so sollte es auch der Mensch thun, und mit dem Munde
nicht nur, sondern mit seinem ganzen Wesen, wie der Baum in seiner
Pracht, wie der Kornacker in seiner Fülle, so der Mensch in seinem
Thun und Lassen. „Gott Lob und Dank!" dachte er, „ich und mein
Weib und meine Kinder, wir wollen dem Herrn dienen, und er braucht
sich unser nicht zu schämen. Wir sind wohl auch arme Sünder und
haben nur einen geringen Anfang der Gottseligkeit, aber wir haben doch
ein Herz zu ihm und vergessen ihn nie einen Tag lang und essen nichts,
trinken nichts, das wir ihm nicht danken, und nicht nur mit Worten,
sondern von Herzensgrund." _ Jer. Gotthelf.
2. Äas Inge.
Das Auge gleichet dem spiegelnden Meer;
Kaum klar, macht ein Sturmwind es trüber,
Und brausen die Stürme wohl allzusehr,
Dann flutet das Wasser auch drüber.
Wirth, Lesebuch. IV.
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