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fallen und lief davon. Plötzlich spürte ich einen scharfen Schmerz am
Hinterkopf. Blitze zudten durch die Luft, in meinen Ohren rauschte
und donnerte es, die Stimmen wurden leiser und immer leiser —
und dann sank ich in den Schnee und wußte von nichts mehr · —
Bunte Blumen in der Bettdecde, bunte Blumen auf der Fenster—
bank. Und vor dem Bett steht der Vater, der lacht über das ganze
Gesicht und streicht mir das Haar aus der Stirn, und die Mutter
tritt in die Kammer, und der Vater winkt ihr mit der Hand, und
beide stehen am Bett und nicken mir zu, und die Mutter weint. —
Ja, träãume ich denn das alles, oder ist es wirklich so? — Ein Wagen
rollt und hält draußen, die Haustürglocke klingelt. Der Vater geht
hinaus und kommt mit einem Herrn herein, der eine goldene Brille
trägt und lacht und mir die Hand gibt und sagt: Endlich!“ —
Jetzt merke ich erst, daß ich eine Binde um den Kopf trage, die nun
von dem Arzte abgenommen wird. Es schmerzt stark, Haare werden
abgeschnitten. Der Doltor räuspert sich und sagt: „Es wird besser.“
— Ach, ich bin so mũüde geworden, ich liege und schlafe ein. Und nach
vierzehn Tagen kann der Verband fortbleiben, und der Arzt llebt ein
Pflaster auf die Wunde, und ich darf auf dem Sofa sitzen und ein
wenig in der Stube herumgehen. — Und nach acht Tagen ist Weih—
nachten! Der heilige Abend ist da, und der Vater trägt mich auf dem
Arm in die gute Stube. Da brennt der Baum, da glitzert alles, die
Augen tun mir weh davon — und unterm Baum? — Da steht ein
Schlitten, ein prachtvoller Schlitten mit Eisen, so glatt wie Schlittschuhe.
— „Ein Schlitten! Ein Schlitten!“ juble ich und besehe ihn von allen
Seiten und nehme ihn auf die Arme und wäre am liebsten mit ihm
hinausgelaufen.
Aber draußen ist Tauwetter, und ich muß warten. Und endlich!
Endlich gibt's neuen Schnee, und ich darf hinaus an den Deich und
fahre hinunter, immer wieder und immer wieder und juble und lache
Und als ich nach Hause komme, habe ich rote Baden, und die Mutter
freut sich darüber, und ich bin glücklich und weiß nichts mehr von
Krankheit, aber — die Narbe habe ich noch heute
101. Am Flußufer.
Hermann Wagner.
Der breite Fluß strömt ruhig durchs weite Tal. Er trägt auf
seinem blinkenden Spiegel Kähne und Schiffe, und die Fische spielen