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B. Lyrische Gedichte.
i. Religiöse MW wib AimuilMicöcr.
72. Das walte Gott!
„Das walte Gott!" Mehr braucht
es nicht.
Wer dies Gebet von Herzen spricht,
Darf an sein Werk mit Freuden geh'n
Und treuer Hilfe sich verseh'n.
Und wär' die Last auch noch so
schwer
Und drohten Feinde ringsumher,
Er macht den Trotz der Welt zu Spott,
Der fromme Spruch: „Das walte
Gott!"
Julius Sturm.
73. Wo wohnt der liebe Gott?
Wo wohnt der liebe Gott?
Sieh dort den blauen Himmel an,
Wie fest er steht so lange Zeit,
Sich wölbt so hoch, sich streckt so weit,
Daß ihn kein Mensch erfassen kann!
Und sieh der Sterne goldnen Schein
Gleich als viel tausend Fensterlein:
Das ist des lieben Gottes Haus;
Da wohnt er drin und schaut heraus
Und schaut mit Vateraugen nieder
Auf dich und alle deine Brüder.
Wo wohnt der liebe Gott?
Hinaus tritt in den dunkeln Wald,
Die Berge sieh zum Himmel geh'n,
Die Felsen, die wie Säulen steh'n,
Der Bäume ragende Gestalt!
Horch, wie es in den Wipfeln rauscht!
Horch, wie's im stillen Thale lauscht!
Dir schlägt das Herz, du merkst es bald :
Der liebe Gott wohnt in dem Wald.
Dein Auge zwar kaun ihn nicht sehen,
Doch fühlst du seines Odems Wehen.
Wo wohnt der liebe Gott?
Hörst du der Glocken hellen Klang?
Zur Kirche rufen sie dich hin.
Wie ernst, wie freundlich ist's darin,
Wie lieb und traut und doch wie
bang!
Wie singen sie nüt frommer Lust,
Wie beten sie aus tiefer Brust!
Das macht, der Herr Gott wohnet da;
Drum kommen sie von fern und nah,
Hier vor sein Angesicht zu treten,
Zu fleh'n, zu danken, anzubeten.
Wo wohnt der liebe Gott?
Die ganze Schöpfung ist sein
Haus;
Doch wenn es ihm so wohl gefällt,
So wählet in der weiten Welt
Er sich die engste Kammer aus.
Wie ist das Meuscheuherz so klein!
Und doch auch da zieht Gott herein.
O, halt das deine fromm und rein,
So wählt er's auch zur Wohnung sein
Und kommt mit seinen Himmels¬
freud eu
Und wird nie wieder von dir scheiden.
Hey.
74. Der liebe Gott ist zu Hause.
O, fürchte dich nicht in dunkler Nacht,
Geh ohne Sorg' im Freien!
Der Gott, der über uns allen wacht,
Wird feinen Schutz dir leihen.
Er geht im Sonnenschein mit dir,
Er geht mit dir im Düstern,
Und was so säuselt dort und hier,
Ist seiner Stimme Flüstern.