154 Mittlere Geschichte.
und empfanget die heilige Salbung und Eure königliche Krone zu Reims!"
Die Städte zwischen Tours und Reims waren alle von den Engländern
und Burgundern besetzt; dennoch folgte der König dem Rufe der Jung-
frau. Mehrere Plätze ergaben sich, andere wurden mit Sturm genommen.
» » Johanna ging überall den Ihrigen voran und führte den König glücklich
Karls VII na$ Neims, wo am 17. Juli 1429 die Krönung stattfand. Während
'der Feierlichkeit hatte Johanna, das Banner in der Hand, neben dem
König gestanden. Nach Beendigung derselben umfaßte sie seine Kniee und
flehte um die Erlaubnis, wieder heimkehren zu dürfen, da ihre Sendung
vollendet sei. Doch die Engländer waren noch mächtig in Frankreich,
hatten sogar noch die Stadt Paris in Besitz, und um keinen Preis wollte
Karl die verlieren, welche ihm bisher gute Dienste geleistet hatte. Auf sein
dringendes Verlangen willigte sie endlich ein, bei dem Heere zu bleiben.
Seit dem Zuge nach Reims aber schien der Geist von Johanna ge-
Gefangen- wichen. Zwar verrichtete sie noch manche Heldemhat, doch am 23. Mai 1430
nannte der wurde sie bei einem Ausfall aus der Stadt Compiegne^ von den bela-
1430 Landen Burgundern gefangen genommen und bald darauf an die Eng-
länder ausgeliefert. Diese schleppten das unglückliche Mädchen nach Rouen
und warfen sie in den Kerker. Man betrachtete sie nicht als Kriegsge-
fangene, sondern als Zauberin und Verbündete des Teufels. Vor Ge-
richt geführt, verteidigte sie sich mit Ruhe und Einsicht, blieb aber stand-
Haft dabei, daß sie nur auf himmlische Offenbarungen gehandelt habe.
„ Die Richter erklärten solche Behauptung für Gotteslästerung und verurteilten
Ihre Ver- Jungfrau als Zauberin zum Feuertode. Am 30. Mai 1431 wurde
*1431."^ k°s grausame Urteil auf dem Markte zu Rouen vollzogen. — Karl VII.
hatte nichts gethan, um dieses Schicksal von feiner Erretterin abzuwenden,
aber die dankbare Nachwelt hat ihr zu Roueii, Orleans und Paris Stand-
bilder errichtet und bewahrt noch heute ihr Gedächtnis in Sagen und Liedern.
Das Feuer, welches den Leib Johannas zerstörte, konnte jedoch den
Geist nicht vernichten, der durch sie in den Franzosen erweckt worden
war: die Engländer wurden weiter zurückgetrieben, nachdem sich die Bur-
gunder von ihnen losgesagt, Paris öffnete seinem König die Thore (1436),
und mit dem Siege der Franzosen über die Feinde bei Castillon^ (1453),
war der langjährige Befreiungskrieg vollendet. Nur Kalais verblieb
den Feinden2 (bis 1558) aus französischem Boden.
1 Compiegne, Stadt am Einflüsse der Aisne in die Oise. — Castillon,
Stadl im südwestlichen Frankreich an der Dordogne.
2 Für England Halle der französische Krieg sehr wichtige Folgen, indem seine
Könige wegen der Kostspieligkeit desselben genötigt waren, ihr Volk häufig um Bei-
Hilfe anzusprechen und deshalb Parlamente zu Halten, zu welchen die Magna charta
(1215) Johanns ohne Land de» Anlaß gegeben Halle. In diese Parlamente wurden
auch städtische Abgeordnete berufen, welche neben dem Oberhaus (Adel und Geist-
lichkeii) ein abgesondertes Unterhaus bildeten. Mit der Zeit einstanden dann
durch Gesetz oder Gewohnheit die drei großen StaatSgrundsätze, auf welchen die
englische Verfassung und die englische Volkssreiheit beruhen: nämlich 1. keine Steuer
darf ausgeschrieben werden ohne Bewilligung des Parlaments und insbesondere des
Hauses der Gemeinen (Unterhaus); 2. zu jedem neuen Gesetze und zu jeder Ver-
Änderung eines alten muß das Parlament seine Zustimmung geben, und 3. das
HauS ber Genteinen hat das Recht, Mißbräuche in der Staatsverwaltung zu unter-
suchen und Anklagen zu erheben vor dem Hause der Lords oder der Pairs (dem
Oberhause) gegtn Staatsbeamte.