Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

170 
Römische Sagen. 
von dem angebotenen Asyl Gebranch gemacht; an Franen fehlte es 
beinahe ganz in der schnell entstandenen Stadt. Auf den Rat der 
Väter beschickte Romulus deshalb die nächsten Ortschaften und ließ sie 
zu einem Bündnis mit dem Rechte der gegenseitigen Eheschließung auf¬ 
fordern. „Auch Städte," sagten die Gesandten, „wachsen wie alles 
andere aus dem Kleinen auf. Darum kann große Macht und großen 
Namen gewinnen, wer durch eigene Tapferkeit und durch die Gunst der 
Götter unterstützt wird. Die Anfänge Roms sind von den Göttern 
begünstigt worden, Tapferkeit wird es weiter fördern. Ihr könnt also 
mit guten Hoffnungen für die Zukunft in Bundesgenossenschaft und 
Verwandtschaft mit uns treten." 
Nirgends jedoch fanden sie günstiges Gehör; so sehr wurde Rom 
von seinen Nachbarn verachtet. Fast durchgängig wurden die Boten 
mit der Frage entlassen, ob sie nicht auch für Weiber ein Asyl errichtet 
hätten; dann erst würden sie Gattinnen gewinnen, die ihrer würdig 
wären. Dies verdroß die jungen Römer, und sie sannen darauf, ihren 
Wunsch mit Gewalt durchzusetzen. Damit sie hierzu eine Passende Ge¬ 
legenheit fänden, ließ Romulus seinen Unwillen zunächst nicht merken 
und traf Vorbereitungen zu einem Festspiele, welches er dem Neptun 
zu Ehren veranstalten wollte. Er kiindigte den benachbarten Städten 
dies Schauspiel feierlich an. 
Eine große Zahl Menschen kam zusammen, um das Fest und zu¬ 
gleich die neue Stadt zu sehen. Am zahlreichsten erschienen Sabiner 
mit Weibern und Kindern. In allen Häusern fanden die Nachbarn gastfreie 
Aufnahme, und als sie die Lage und die Befestigung und die ansehnliche 
Häuserzahl sahen, wunderten sie sich über das schnelle Emporblühen 
der Stadt. Als endlich der Zeitpunkt des Kampfspieles herankam und 
Herz und Auge damit beschäftigt waren, schritten die Römer ihrem 
Plane gemäß zur Gewalttat. Auf ein gegebenes Zeichen ergriffen 
sie die Jungfrauen und trugen sie davon. Die meisten wurden ohne 
Wahl weggenommen, wie sie jedem in die Hände fielen. Einige von 
hervorragender Schönheit bestimmte man für die Senatoren und ließ 
sie von den damit beauftragten Leuten in deren Häuser bringen. 
Traurig ergriffen die Eltern der Mädchen nach dieser schreckens¬ 
vollen Unterbrechung des Schauspiels die Flucht, klagten laut über 
Verletzung der Gastfreundschaft und riefen den Gott um Rache an, zu 
dessen Feste man sie in so trügerischer Absicht gelockt hatte. 
Auch die Stimmung der Geraubten war nicht froher, ihr Unwille 
nicht geringer. Aber Romulus ging selbst in die Häuser und riet 
ihnen, sie möchten ihren Zorn besänftigen und ihre Herzen den Männern 
schenken, in deren Gewalt das Schicksal sie gegeben habe. Sie würden
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.