Full text: [Teil 4 = (5. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (5. Schuljahr), [Schülerband])

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langsam ist der Übergang von der Nacht zum Tag. Schweigt das Morgen- 
lüftchen, hat das Flüstern der Blätter und Zweige, das Kauschen der 
Bäume das Nahen der Sonne verkündigt, so setzen leise, leise, oftmals 
unterbrochen wie von wiederkehrenden Träumen, die ersten vogelstimmen 
ein. — wo die Landstraße aus dem Dorfe hinaus ins weite führt, liegt 
ein großes, freundliches Haus. Tin Garten umgibt es,- jenseits, wo dieser, 
durch einen Zaun begrenzt, ein Ende nimmt, folgt ein schmaler, ansteigender 
Wiesenstreif. Zieht man unterhalb der Böschung, so sieht man einen kleinen 
Bach wie ein schmiegsames Metallband leuchten. Kopfweiden stehen daran, 
alte, hundertmal beschnittene, die ihre dünnen Nuten wie Spieße in die 
Luft strecken aus dem rissig vernarbten Wulst, wo der Gemüsegarten 
des Hauses in den alten Baumgarten übergeht, stehen unter jungen, erst 
gepflanzten, strebsamen Bäumchen einige Veteranen. Gespalten ist der 
Stamm, so daß man in eine schwarze Höhlung sieht, schief der Stand, 
absonderlich und ausdrucksvoll die ganze Erscheinung eines solchen Baumes. 
Noch hat der Hahn nicht gekräht, die Schwalbe ist noch nicht wach, da 
tönt von dorther das erste Morgenlied. Leise, ganz leise setzt es ein, so 
recht der Laut für die sanfte Dämmerung draußen. Nls ob das Vögelchen 
selbst nur langsam zum vollen Bewußtsein käme. Ein sanfter, fragender 
Lockruf. Zuerst nur einmal und leise, von langer pause gefolgt. Dann 
öfters, immer noch von kurzen Zwischenpausen unterbrochen, Heller und 
stärker. Über noch ist nichts von dem kleinen Sänger zu sehen. Er sitzt 
still und verborgen und scheint sich selbst in den Tag und das Erwachen 
hineinzulocken. 
Im Osten flammt es jetzt plötzlich auf. Mit Glut übergössen ist mit 
einem Male der Giebel des Hauses, die hellen Ziegel stehen im Feuer, 
in Glut getaucht sind die Spitzen der Bäume, und im Bach oberhalb des 
Gartens glänzt der Widerschein der Sonne wie tiefes, heißflüssiges Gold. 
Das scheint den kleinen Tagesboten in den Zweigen des alten Birnbaums 
zu alarmieren. In zierlichem Bogen, seinen Lockruf mehrmals hinter¬ 
einander rasch und munter ausstoßend, schwingt er sich mit plötzlichem 
Entschluß von seinem bisherigen, verborgenen Plätzchen auf den höchsten 
Zweig des nächsten Baumes, sitzt mit emporgehobenen Fersen und heftig 
rüttelndem Schwänzchen, wobei er unaufhörlich knickst und kopfnickt und 
die schwarzen Kügelchen munter und keck umherblicken. Ist es nur der 
Widerschein der Sonne, der sein Gefieder so feurig färbt? wie frisch ge¬ 
fallener Schnee glänzt es auf dem kleinen Köpfchen, über den dunkeln, 
lebhaften Nugen, die mit dem auffallenden Kontrast ihrer Umgebung — 
blendend weiß die obere Stirnhälfte, kohlschwarz die untere sowie die 
Kehle bis zu der schön rostroten Brust herab — noch feuriger und 
fast fremdländisch wirken. Er hat sich den erhöhten Standpunkt aus- 
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