Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

146 
Naturbilder. 
den hundertstimmigen Glocken und Schellen, singenden Kindern und 
jodelnden Sennen strichweise verhüllt werden. Der Frühling ist die laute, 
die tönende, tausendstimmige Naturperiode. 
Der Kampf mit Nebel und Nacht beginnt, 
Das Leben ringt sich frei 
Und Kette um Kette in Tau zerrinnt 
Der Wintersklaverei. 
Schon hör’ ich den fröhlichen Herdereihn 
Erklingen im Morgenstrahl, 
Die Brunnen der Berge jauchzen drein 
Und springen ins grüne Tal. 
Aber die stumme Welt der Pflanzen ergänzt bald in ihrer Weise 
mit stillem Blätter- und Blütenschmuck das Schauspiel der erwachten 
und beweglichen Lebensmächte, die von Tag zu Tag gewaltiger werden. 
Haben Föhn, Sonne und Regen die Schneedecke weggeleckt, so stehen 
noch überall die Spuren des Todes und Schlafes. Die Wiesen und 
Weiden sind fahlgelb oder rotbraun. Von den Quellen und dem Tale 
her überzieht sie aber in wenigen Tagen ein lichtes, helles Grün, das 
immer klarer und tiefer wird. Die Haselbüsche streuen ihren Gold¬ 
regen aus, die gelben Huflattichblüten überziehen die feuchten Lehm- 
und Sandhalden mit leuchtenden Decken, der Spitzahorn zeigt das erste 
Baumgrün und achtzehn Tage nach dem ersten Bodengrün blühen in 
den mildern Bergwiesen schon die Kirschbäume und fangen die Buch¬ 
wälder an langsam vom Tal auf sich zu belauben. Fast drei Wochen 
hat der Frühling von dem untersten Kirschbaum, den er mit Blüten 
schmückt, bis zum obersten hinanzusteigen; und so wird es über Mitte 
Mai, bis er an der obern Grenze (1300 m ü. M.) anlangt. Noch später 
gelingt ihm die Vollendung der aufsteigenden Belaubung des Buchwaldes, 
während im Herbst die von oben anfangende Vergilbung der Wälder sich 
weit rascher nach unten vollzieht. 
Friedrich von Tschudi, Das Tierleben der Alpenwelt, 11. Ausl. Leipzig 
1890, S. 23 f. 
i09. Der Föhn1). 
Die atmosphärischen Erscheinungen, welche den Föhn unserer 
Alpen begleiten, sind sehr hübsch. Am südlichen Horizonte zeigt sich 
leichtes, sehr buntes Schleiergewölke, das sich an die Bergspitzen setzt. 
Die Sonne geht am stark geröteten Himmel bleich und glanzlos unter. 
Noch lange glühen die feinen, nordwärts gebogenen Streifenwolken in 
0 Früher suchten viele Forscher die Quellen der heißen Süd- und Süd Westwinde 
(Föhn) in den brennenden Sandwüsten der Sahara. Heutzutage nimmt man an, daß der 
Föhn von lokaler Natur ist und als Erzeuger desselben unsere Alpen angesehen werden 
müssen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.