Full text: Klasse 5 (sechstes Schuljahr) (Teil 5, [Schülerband])

in reizvoller Weise zwischen bewaldete Erhebungen drängen, wird eine 
Wirkung erreicht, so lieblich und so überraschend schön, wie ich sie noch in 
keinem Walde unserer Provinz gefunden habe. Der tiefe Sinn des 
Dichterwortes 
„Und das müde Herz sich labt 
An Waldesruh und Sonntagsfrieden" 
wird — wenn sonst irgendwo — sich hier dem Empfinden erschließen. 
Während der Laubwald mit der ganzen Macht seines Zaubers unsere 
Seele erfüllt, ehe die Sonne am höchsten steht, kommt des Kieferwaldes 
eigenartiges Wesen völlig erst von der Mitte des Tages an zum 
Ausdruck. Welch herrlicher Gegensatz bietet sich unserm Auge, wenn 
die sinkende Sonne die roten Stämme zwischen dem Dunkelgrün des 
Nadelwerks mit leuchtendem Schimmer überzieht! 
Auch der Pflanzenteppich, den unser Fuß betritt, ist anders im 
Kieferwalde, anders im Laubwalde. Scheint es doch, als wären auch die 
Pflanzen beseelt, als hätten sie die Freiheit des Willens, die die Philo¬ 
sophen für uns in Anspruch nehmen, als dürften auch sie wählen zwischen 
dem Lichten, Klaren und dem Dunklen, Geheimnisvollen. Aber: es 
ist das Licht, und es ist die Wärme der Sonne, die diese Freiheit des 
Willens uns vortäuschen, die diese Sonderung erzwingen. Von der 
Beschaffe nheitdes Waldes hängt somit auch die Beschaffen¬ 
heit der Pflanzen ab, die sich in ihm angesiedelt haben. Und wenn 
der Botaniker weiß, in jener Gegend ist ein Laubwald, in jener andern 
ein Kieferwald, so wird er schon im allgemeinen ein Bild der Pflanzenwelt 
jener Gegend entwerfen können. Nie wird er beispielsweise das Hexenkraut 
in dem lichten Kieferwalde suchen; das gehört in des Laubwaldes geheim¬ 
nisvollen Schatten, und das Sonnenröschen, Usliäntbsmum elmma-seistus, 
kann mit seinen leuchtend gelben Blüten nur im hellen Kieferwalde die 
geliebten Sonnenstrahlen erhaschen. Weiß der Botaniker, es gibt bei 
Boguniewo (Kreis Obornik) einen Buchenwald, so weiß er auch, daß 
dort sicher der Waldmeister wächst, wahrscheinlich auch der Buchenfarn; 
und hat er erfahren, daß die Goldrute in einer Gegend vorkommt, so 
muß er erstens auf Kieferwald, zweitens auf das Vorhandensein einer 
Reihe anderer Arten, z. B. des Adlerfarns, der Kronwicke, der Graslilie 
schließen. 
Teil V. Anhang für Posen. 
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