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der, schimmernd in bunter Pracht, lachend aus Millionen Maßliebchen¬
augen, zwischen den knospenden Hecken oberhalb des Dorfes sich ausbreitet.
Die liebe Ostersonne steht hoch am westlichen Himmel, ein mild¬
warmer Glanz erfüllt die Luft, ein zartgewürzter Hauch geht durch die
Hecken, in denen die Blütenlämmerchen, die besondere Freude der Kinder,
sich leise bewegen. Und Scharen um Scharen kommen vom Dorfe herauf,
die ersten eilend und springend, die andern mit gleichmäßigen Schritten,
die letzten langsam und „stuppelnd". Es sind die Kinder des Dorfes,
es sind die Jünglinge und Jungfrauen, es sind die Väter, die Gro߬
väter, die Urgroßväter, es sind die Mütter, die Großmütter, die Ur¬
großmütter — es ist das ganze Dorf, soweit es Beine hat.
Und wessen Beine schwach und müde sind vor Alter, oder wer
sonst das Geruhsame vorzieht, wie besonders die guten, behäbigen Mütter,
der setzt sich auf den sonnenwarmen Rasenhügel am Raine neben der
Hecke und weidet seine Augen und labt seine Ohren an dem herrlichen
Osterbilde, das auf dem weiten Wiesenplan auf und ab sich entfaltet:
rüstige Greise schlagen den Ball, und gesetzte Männer laufen mit kecken
Jünglingen ums Ziel, die Alten mit den Jungen und die Jungen mit
den Alten und einerlei, ob Herr, ob Knecht. So ist es Osterbrauch.
Andere vergnügen sich mit dem „Pohllapen" (Pfahllaufen). Zwei
Parteien bilden sich; ein Pfahl wird in die Erde geschlagen und ein
langes Seil daran dicht über der Erde festgeknüpft. Nun gilt die Wette:
die Pfahlpartei wählt einen Läufer, der in der menschenmöglich kürzesten
Zeit das Seil um den Pfahl zu laufen hat, während die andere Partei
ihre besten Läufer nach einem bestimmten, gut dreiviertel Stunden ent¬
fernten Punkte des Hohenhagens sendet, wohin die Seilpartei ihre Zeugen
bereits vorausgeschickt hat. Kommt der Läufer von Hohenhagen nun
zurück, ehe das Seil zu Ende gelaufen ist, so muß die Spielpartei den
Ostertrunk bezahlen, und umgekehrt. Natürlich lockt dies Wettspiel zahl¬
reiche Zuschauer an, die den Ausfall mit größter Spannung verfolgen.
Die Jungfrauen mit ihren Altersgenossen ergötzen sich unterdessen
an den lustigen Singspielen. Über die ganze Wiesenbreite hin wirbeln
die Kreise, hüpfen die langen bunten Reihen, laufen die Scharen. Kein
Spiel, ja keine Bewegung, die nicht durch ein lustiges, wenn auch oft sehr
rätselhaftes Liedchen begleitet würde, oder zu dem nicht ein jauchzender
Ruf ertönte, wie:
„Miene Mutter hät eseggt, eck soll deck sau'n dick, dick, dick Brot
geben!" (Meine Mutter hat gesagt, ich sollte dir so 'n dick, dick, dick
Brot geben!)
Oder: „Süh deck nech ümme, dei Puck dei kümmt,
Süh deck wohl vor, hei sleit 'r herdor."
(Sieh dich nicht um, der Puck der kommt,
Sieh dich wohl vor, er schlägt hindurch.)