Full text: [Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband])

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vierzig Männer zu Pferde empfingen ihn. Luther blieb einen Tag in der 
Stadt und predigte. Unterwegs versuchten seine Freunde, ihn von seinem 
Vorhaben abzuschrecken. Der Kurfürst selbst, Luthers Landesfürst, ließ 
ihn warnen, nach Worms zu gehen. Luther aber ließ sich nicht halten, 
sondern erwiderte auf die vielen Warnungen seiner Freunde: „Hus ist 
verbrannt worden, aber die Wahrheit nicht. Ich will nach Worms, wenn 
gleich so viel Teufel da wären als Ziegel auf den Dächern.“ 
Am 16. April hielt Luther seinen Einzug in die Stadt Worms. 
Eine große Volksmenge zu Pferd und zu Fuß begleitete ihn, und der 
10 Wächter blies auf dem Turme, als er den Zug kommen sah. Man brachte 
Luther in das Haus der Johanniter-Ritter. Beim Absteigen vom Wagen 
sagte er: „Gott wird mit mir sein!“ 
Gleich am Abend des folgenden Tages sollte er vor dem Reichstage 
erscheinen. Auf Umwegen mußte man ihn hinbringen, zum Schutze vor 
dem Gedränge des Volkes. Vor dem Sitzungssaale klopfte ihm der Feld— 
hauptmann Georg von Frundsberg auf die Schulter und sagte: „Mönch— 
lein, Mönchlein, du gehst jetzt einen schweren Gang, dergleichen ich und 
mancher Oberst auch in allerernster Schlachtordnung nicht getan. Bist 
du aber auf rechter Meinung und deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes 
20 Namen fort und sei getrost, Gott wird dich nicht verlassen!“ Ulrich von 
Hutten hatte ihn gleichfalls durch zwei herrliche Briefe ermutigt. Der 
erste hebt also an: „Der Herr erhöre dich am Tage der Not! Er sende 
dir Hilfe vom Heiligtum und stärke dich aus Zion! Er erfülle alle deine 
Bitten und erhöre dich von seinem heiligen Himmel! Denn was soll ich 
25 Euch, ehrwürdiger Vater, zu dieser Zeit anders wünschen? Seid getrost 
und werdet stark! Von mir könnt Ihr alles hoffen. Wenn Ihr standhaft 
bleibt, will ich bis an meinen letzten Odem bei Euch halten.“ — 
Auch der Landgraf Philipp zu Hessen hatte ihm zuvor die Hand ge— 
reicht und gesagt: „Habt Ihr recht, Herr Doktor, so helfe Euch Gott!“ 
30. So stand denn Luther vor dem Kaiser und seinem Bruder Ferdinand, 
vor sechs Kurfürsten und achtundzwanzig Herzögen, elf Markgrafen, dreißig 
Bischöfen und zweihundert andern regierenden Herren. Solche Versamm— 
lung hatte der Mönch, dessen Welt so lange die Klosterzelle gewesen war, 
noch nicht gesehen. Auf einem Tische lagen seine Bücher. Als er gefragt 
85 wurde, ob er die Bücher geschrieben habe, antwortete er: „Ja!“ Man 
fragte weiter, ob er sie widerrufen wolle, da bat er sich Bedenkzeit aus. 
Der Herold geleitete ihn wieder zurück. 
Am folgenden Abend ward er wieder geladen. Es war sechs Uhr. 
Luther wurde wiederum gefragt, ob er seine Bücher widerrufen wolle. 
10 Da gab er mit großer Festigkeit Antwort. Nachdem er einen Unterschied 
zwischen den Schriften gemacht, die er nicht widerrufen könne, und etlichen, 
worin er vielleicht zu heftig und zu scharf gegen Personen gewesen, er— 
klärte er sich bereit, sich aus Zeugnissen der Schrift eines Bessern belehren 
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