Full text: [Teil 4 = [Kl. 6], [Schülerband]] (4. Teil = 6. Klasse, [Schülerband])

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Wittekind war nach all den unglücklichen Kämpfen endlich an dem 
Glauben seiner Väter irre geworden; doch schwankte er noch, den ent¬ 
scheidenden Schritt zu tun. Einst ritt er in den Lübbecker Bergen über 
die Höhe, wo jetzt das Dorf Bergkirchen liegt, und erwog in sich, welcher 
Glaube wohl der wahre sei: der Götterdienst seiner Väter oder die neue 
Lehre der Franken. Und er sprach bei sich selbst: „Ist der Christenglaube 
der rechte, so möchte ich wohl ein Zeichen haben, wodurch ich gewiß würde!" 
Es war aber gerade sehr heiß, und da sich in den Bergen kein Wasser 
fand, so dürstete ihn und sein Pferd. Und siehe, da fing das Pferd plötzlich 
mit dem Huf an zu scharren, und aus dem felsigen Boden sprang ein 
mächtiger Quell hervor. Da stieg der König vom Rosse herab, trank und 
gelobte, ein Christ zu werden. Über dem Quellborn aber wurde hernach 
eine Kirche gebaut, die vom Papst Leo selbst geweiht und noch heutigen 
Tages steht. 
Als nun im Winter eine Waffenruhe eingetreten war, ergriff Wittekind 
eine wunderbare Sehnsucht, zu schauen, wie die Christen ihren vielgepriesenen 
Gott verehrten. Das Weihnachtsfest kam heran, da hüllte sich Wittekind 
in Bettlerlnmpen und schlich sich beim Hereinbrechen des Morgenrots in 
das fränkische Lager. Unerkannt schritt er durch die Reihen der Krieger, 
die sich zum Gottesdienst anschickten, und gesellte sich zu den Krüppeln, 
welche am Eingänge des Heiligtums harrten, daß man ihnen Almosen dar¬ 
reiche. Denn hier, so meinte der hohe Bettler, könne er am unbemerktesten 
den gepriesenen Karl schauen, wenn er in der Mitte seiner Helden und 
Gewaltigen aus dem Gotteshause trete. Hart an die Pforte gelehnt, bog 
er sich hinüber und blickte hinein in die geweihte Wohnung. Da wurden 
nicht Pferde und Rinder geopfert, wie bei den Heiden, sondern andächtig 
kniete Karl mit seinen Großen vor dem Altar, das Sakrament zu empfangen. 
Weihrauchduft wallte empor, und die Gesänge der Priester priesen die heilige 
Nacht, in der die Herrlichkeit des Heilandes sich den Menschen offenbart 
hatte. Da ward Wittekind tief ergriffen von der Pracht und Gewalt des 
Gottesdienstes der Christen, und stumm faltete er die Hände. Es war, als 
ob das Christuskind ihm lächelnd vom Altar her winkte und spräche: 
„Komm her zu mir!" Als nun Karl hinaustrat und mit funkelnden 
Augen die Reihen der Bettler und Krüppel durchflog, verweilte sein Blick 
auf der hohen Gestalt und dem gewaltigen Gliederbau Wittekinds. Wohl 
ahnend, wer er sei, ging er doch schweigend vorüber, und jeder empfing sein 
Almosen. Wittekind aber kehrte in tiefen Gedanken heim zu den Seinen; 
vor seiner Seele stand fortan bei Tag und Nacht das lächelnd winkende 
Jesuskind. 
Bald darauf schickte Karl einen Boten an Wittekind und ließ ihm 
Verzeihung anbieten, wenn er sich taufen lasse und seine Götter abschwöre. 
Das nahm Wittekind jetzt an. Da zog König Karl mit seinem Heere nach 
Garthausen, und Wittekind kam mit seinem Gefolge herab von der Wieckburg
	        
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