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Wittekind war nach all den unglücklichen Kämpfen endlich an dem
Glauben seiner Väter irre geworden; doch schwankte er noch, den ent¬
scheidenden Schritt zu tun. Einst ritt er in den Lübbecker Bergen über
die Höhe, wo jetzt das Dorf Bergkirchen liegt, und erwog in sich, welcher
Glaube wohl der wahre sei: der Götterdienst seiner Väter oder die neue
Lehre der Franken. Und er sprach bei sich selbst: „Ist der Christenglaube
der rechte, so möchte ich wohl ein Zeichen haben, wodurch ich gewiß würde!"
Es war aber gerade sehr heiß, und da sich in den Bergen kein Wasser
fand, so dürstete ihn und sein Pferd. Und siehe, da fing das Pferd plötzlich
mit dem Huf an zu scharren, und aus dem felsigen Boden sprang ein
mächtiger Quell hervor. Da stieg der König vom Rosse herab, trank und
gelobte, ein Christ zu werden. Über dem Quellborn aber wurde hernach
eine Kirche gebaut, die vom Papst Leo selbst geweiht und noch heutigen
Tages steht.
Als nun im Winter eine Waffenruhe eingetreten war, ergriff Wittekind
eine wunderbare Sehnsucht, zu schauen, wie die Christen ihren vielgepriesenen
Gott verehrten. Das Weihnachtsfest kam heran, da hüllte sich Wittekind
in Bettlerlnmpen und schlich sich beim Hereinbrechen des Morgenrots in
das fränkische Lager. Unerkannt schritt er durch die Reihen der Krieger,
die sich zum Gottesdienst anschickten, und gesellte sich zu den Krüppeln,
welche am Eingänge des Heiligtums harrten, daß man ihnen Almosen dar¬
reiche. Denn hier, so meinte der hohe Bettler, könne er am unbemerktesten
den gepriesenen Karl schauen, wenn er in der Mitte seiner Helden und
Gewaltigen aus dem Gotteshause trete. Hart an die Pforte gelehnt, bog
er sich hinüber und blickte hinein in die geweihte Wohnung. Da wurden
nicht Pferde und Rinder geopfert, wie bei den Heiden, sondern andächtig
kniete Karl mit seinen Großen vor dem Altar, das Sakrament zu empfangen.
Weihrauchduft wallte empor, und die Gesänge der Priester priesen die heilige
Nacht, in der die Herrlichkeit des Heilandes sich den Menschen offenbart
hatte. Da ward Wittekind tief ergriffen von der Pracht und Gewalt des
Gottesdienstes der Christen, und stumm faltete er die Hände. Es war, als
ob das Christuskind ihm lächelnd vom Altar her winkte und spräche:
„Komm her zu mir!" Als nun Karl hinaustrat und mit funkelnden
Augen die Reihen der Bettler und Krüppel durchflog, verweilte sein Blick
auf der hohen Gestalt und dem gewaltigen Gliederbau Wittekinds. Wohl
ahnend, wer er sei, ging er doch schweigend vorüber, und jeder empfing sein
Almosen. Wittekind aber kehrte in tiefen Gedanken heim zu den Seinen;
vor seiner Seele stand fortan bei Tag und Nacht das lächelnd winkende
Jesuskind.
Bald darauf schickte Karl einen Boten an Wittekind und ließ ihm
Verzeihung anbieten, wenn er sich taufen lasse und seine Götter abschwöre.
Das nahm Wittekind jetzt an. Da zog König Karl mit seinem Heere nach
Garthausen, und Wittekind kam mit seinem Gefolge herab von der Wieckburg