stand dabei und that ihm nichts, obgleich der Löwe seine Mutter-
Zerrissen hatte. „Willst du nicht", fragte der Esel, „dem Löwen
auch eins hinter die Ohren geben?" Das Pferd antwortete
ernsthaft: „Ich halte es für niederträchtig, mich an einem
Feinde zu rächen, der mir nicht schaden kann."
Lefsing.
60. Zens und das Schaf.
Das Schaf mußte oon allen Tieren vieles leiden. Ta
trat es vor den Zeus und bat, fein Elend zu mildern. Zeus
schien willig und sprach zu dem Schafe: „Ich fehe wohl, mein
frommes Geschöpf, ich habe dich allzu wehrlos erschaffen. Nun
wühle, wie ich diesem Fehler am besten abhelfen soll. Soll
ich deinen Mund mit schrecklichen Zähnen und deine Fuße mit
Krallen rüsten?" „O nein," sagte das Schaf, „ich will nichts
mit den reißenden Tieren gemein haben." „Oder", fuhr Zeus
fort, „soll ich Gift in deinen Speichel legen?" „Ach," versetzte
das Schaf, „die giftigen Schlangen werden ja so sehr gehaßt."
„Nun, was soll ich denn thun? Ich will Hörner auf deine
Stirn pflanzen und Stärke deinem Nacken geben." „Auch
nicht, gütiger Vater, ich könnte ja leicht so stößig werden wie
der Bock." „Und gleichwohl," sprach Zens, „mußt du selbst
schaden können, wenn sich andere dir zu schaden hüten sollen."
„Müßt ich das?" seufzte das Schaf, „o, so laßt mich, gütiger
Vater, wie ich bin! Denn das Vermögen, schaden zu können,
erweckt, fürcht ich, die Lust, schaden zu wollen, und es ist besser,
Unrecht leiden als Unrecht thun."
Zeus segnete das fromme Schaf, übergab es dem Schutz
des Menschen, und es vergaß von Stund an zu klagen.
Lefsing.
61. Wie die Bänme des Schwarzwaldes anf Reisen gehen.
Wenn unsere schwäbischen Waldbäume von ihren hohen
Bergen so hinaus sehen in die schöne Welt, bekommen sie
auch Lust zur Wanderschaft. Aber mit der Post können sie
freilich nicht reisen. Und sie brauchend auch nicht; denn sie
haben im Walde einen guten Freund, der nimmt sie ohne viel
Fuhrlohn mit hinaus in die Welt. Weiß du, wer er ist? —