Full text: Für untere Klassen (Abteilung 1, [Schülerband])

kleineren Geschwister, die grünen Matten und die hohen Schnee¬ 
gipfel Savoyens hinter sich, mußte das alles hinter sich lassen, 
weil bei allem Fleiße die Eltern das Brot für fünf Kinder 
nicht aufbringen konnten. Auf dem Rücken trug der vierzehn¬ 
jährige Knabe ein Kästlein, darin seine beiden lieben Murmel¬ 
tierlein saßen und sich warm hielten, die er wollte in der 
Fremde zeigen und tanzen lassen, damit ihm die Leute etwas 
schenkten. Dazu pflegte er dann ein Liedlein aus seinen Ber¬ 
gen zu singen mit feiner Hellen, klaren Stimme. 
Droben auf der Höhe des Alpenpasses, wo noch einmal 
das Auge über die schneebedeckten Gipfel Savoyens hinschweift, 
stund das Büblein still; suchte, sah mit dem thränengefüüten 
Auge die bekannten Gipfel, hinter denen fein Heimatthal lag. 
blickte dorthin mit tiefein Weh, kniete dann in den Schnee 
nieder und betete für die Lieben, die es zurückließ, und — 
für sich, wandte sich dann, folgend dem Gebote der eisernen 
Notwendigkeit, wischte die immer neu hervorquellenden Thrä¬ 
nen ab und schritt in Gottes Namen vorwärts — und kani 
glücklich nach Frankreich. Da ließ es seine schönen Tierlein 
tanzen, sang seine so wehmütig klingenden Liedlein dazu, und 
die Leute gaben ihm aus Mitleid ein paar Centimes, deren 
hundert einen — Frank ausmachen. Was es aß und wo es 
schlief? Nun, Gesottenes und Gebratenes war's nicht, sondern 
trockenes Brot, und kostbare Federbetten sind's auch nicht ge¬ 
wesen, darauf es feine müden Glieder streckte, sondern ein 
Bündel Stroh, das ihm die Barmherzigkeit des Volkes reichte, 
das der apostolischen Mahnung noch eingedenk ist, „herberget 
gerne!" 
Eins aber merkte das Büblein wohl, das nämlich, daß in 
Frankreich seiner Heimats- und Geschäftsgenossen viele herum¬ 
zogen; denn die Leute sahen seine tanzenden Murmeltiere 
kaum an. Klug die Verhältnisse erwägend, dachte das Büb¬ 
lein: Die Welt ist groß und den Rückweg nach Savoyen 
findest du immer wieder. Setz deinen Wanderstab weiter. 
Und es wanderte immer fürbaß, überschritt die Grenzen Frank¬ 
reichs und betrat in den Landen des Erzbischofs und Kur¬ 
fürsten Clemens Wenzeslaus von Trier den Boden des deutschen 
Reiches. 
Es wanderte das Büblein am Ufer der Saar herab, fand 
freundliche Herzen und willige Geber, obgleich ihm die Sprache 
völlig unbekannt war, erreichte endlich das schöne Moselland 
und — kam gen Trier. Tie Trierer sind gutmütige, froh-
	        
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