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sollten und trieb nun blindlings tappend seine Heerden. Aber
wie erstaunte er, als er sich auf einmal rufen und schimpfen
hörte. Es waren die Flüchtlinge, die nun schon ihr Schiff
vom Lande abgestoßen hatten und von der Küste wegruderten.
Zornig brach er ein gewaltiges Stück von einem Felsberge ab
und warf es nach der Meeresseite hin, so daß es beinahe die
Spitze des Steuers getroffen hätte. Das Schiff schwankte ent¬
setzlich von der Bewegung des Wassers und wurde fast wieder
ans Ufer getrieben; aber die Ruderer arbeiteten sich wieder
hurtig ins Meer hinein, und Odysseus rief dem Polyphem
nochmals zu und schrie: „Höre, Cyklop, sollte dich einst von
den sterblichen Menschen jemand fragen, wie du dein Auge
verloren, so sage ihm: Odysseus, Laertes Sohn, der Städte-
vcrwüster, der in Jthaka wohnt, der hat mein Auge geblendet."
Darauf segelten die Männer fort. Polyphem aber flehte
zum Poseidon, seinem Vater, um Rache, und dieser ließ es
auch in der Folge an Stürmen und Waffergefahren dem edeln
Odysseus nicht fehlen.
d. Äolus, die Lästrygonen und Kirke.
Auf seinen weiteren Fahrten kam Odysseus zuerst nach den
schwimmenden äolischen Inseln. Dort thronte Äolus, der
König der Winde, im hohen Saale seines Palastes, umgeben
von seinen sechs Söhnen und sechs Töchtern, täglich schmausend
unter Gesang. Einen ganzen Monat bewirtete er den Odysseus
und seine Gefährten, und als dieser endlich zurückzukehren
wünschte ins Vaterland, gab er ihm alles Nötige mit, besonders
aber einen Schlauch mit Winden von neunjährigem Ochsen¬
leder; diesen band er mit einem silbernen Seile ins Schiff,
warnte aber, ihn ja nicht zu öffnen. Gerades Weges trug
ihn nun der West in neun Tagen bis nahe an Jthaka; da
schlief er unglücklicherweise ein, und seine Gefährten, schon
lange neugierig, was doch wohl in dem Schlauche sei, öffneten
ihn, und brausend tobten widrige Winde heraus und trieben
unaufhaltbar die Schiffe nach den äolischen Inseln zurück.
Äolus wunderte sich, den Odysseus zurückkommen zu sehen, und
als er die Ursache vernahm, da wies er ihn aus dem Hause
und rief: „Weg mit dir, schändlichster Mensch, dich verfolgt
die Rache der seligen Götter! Solch einen Mann Herberge
und entsende ich nicht noch einmal."