156 B. Beschreibende Prosa. VI. Bilder aus der Natur.
Fülle Gesträuche verschiedener Art, die als Unterholz den Wald
dicht und anmutig machen und ihn von einem Nadelwalde be¬
sonders unterscheiden. Ausser dem jungen Eichen- und Buchen¬
gebüsch treibt vorzugsweise der Haselstrauch seine langen,
geraden und biegsamen Ruten und lockt zur Zeit seiner Frucht¬
reife die Jugend in das Dickicht des Waldes; am Boden aber
ist eine Menge schönfarbiger Blumen, mit allerlei Waldbeeren
und Pilzen vermengt, ausgebreitet. Gleich in unserer Nähe
lacht uns ein Erdbeerstöckchen mit roten, würzigen Beeren an
und lädt zum Genusse ein. Ringsumher beginnen auch die
Heidelbeeren schon zu reifen, während die Preifselbeeren noch
in ihrem weifsen Kleide dastehen und sich den Spätsommer zu
ihrer Reife ausersehen haben. Nicht weit von uns ist eine
breite Stelle mit dem wohlriechenden Waldmeister bedeckt, da¬
neben erblicken wir die dichten, gelben Trauben des färbenden
Ginsters. Die Maiblume, das Windröschen und Leberblümchen
sind Kinder des Frühlings und bereits abgeblüht. Es wachsen
hier im Waldesschatten aber auch die schwarzblaue Einbeere,
die verlockende Tollkirsche, der rote Fingerhut und der farben¬
prächtige, aber sehr gefährliche Fliegenpilz, alle als Giftpflanzen
bekannt und gefürchtet. Die langen Wedel des Farnkrautes
erfreuen unser Auge, und der weiche, grüne Moosboden ist ein
angenehmer Teppich für unsere Füsse.
Einzelne Schmetterlinge schaukeln sich in der Luft; zu
ebener Erde aber sind an trocken gelegenen Stellen die emsigen
Ameisen damit beschäftigt, ihre Puppen, gewöhnlich Ameisen¬
eier genannt, an die Sonne zu tragen und in ihrem Baue
Ordnung zu halten, während viele andere Insekten durch Laufen
und Fliegen, durch Schwirren und Surren von Ort zu Ort, von
Blatt zu Blatt den Wald beleben, wobei jedes von ihnen ohne
Mühe findet, was es sucht.
Eine flinke und schüchterne Eidechse in ihrem schön¬
gezeichneten Kleide schlüpft raschelnd im dürren Laube an
uns vorüber und verschwindet ebenso schnell wie sie sich uns
gezeigt hat; sie lenkt jedoch unsere Aufmerksamkeit an eine
andere Stelle, an der wir eine glatte, rötlich glänzende Blind¬
schleiche gewahr werden, die sich am Fusse einer grossen
Buche sonnt. Auf dem Baume selbst aber tummelt sich mit
neckischen Sprüngen und possierlichen Geberden ein Eich¬
hörnchenpaar, dessen Treiben wir längere Zeit zusehen, bis es
endlich im dichteren Gezweig unseren Blicken entschwindet.
Wir folgen unserem Wege immer weiter in die Tiefe des
Waldes hinein. Da lugt in einiger Entfernung ein schüchternes