142 A. Erzählende Prosa. V. Geschichtliche Charakterzüge u. Lebensbilder.
des Marsches zu erholen; auch wollte man hier diejenigen erwarten,
welche sich verirrt hatten oder aus Erschöpfung hinter dem Zuge zurück¬
geblieben waren. Aber so viele Schwierigkeiten man nun auch schon
überwunden hatte, so erfüllte doch der Schnee, welcher die Alpen be¬
deckte und der in der herbstlichen Jahreszeit in immer größeren Massen
herabfiel, sowie der Gedanke, daß ein ebenso beschwerlicher Weg von
den Bergen hinab noch bevorstehe, alle Truppen mit Mutlosigkeit.
Nur die Schilderung, welche ihnen Hannibal, auf die unter ihnen
liegenden Gefilde hinweisend, von der Schönheit und Fruchtbarkeit
Italiens, von der wohlwollenden Gesinnung der am Po wohnenden
Gallier und von der Leichtigkeit, mit welcher man den Feind besiegen
würde, zu machen wußte, vermochte sie wieder aufzurichten.
Hierauf fing man an, das Gebirge hinabzusteigen, welches nach
Italien zu, wenn auch weniger ausgedehnt, doch desto steiler und ab¬
schüssiger ist, und so verloren auf diesem Wege, obwohl die Gallier
nur unbedeutende Angriffe wagten, fast eben so viele ihr Leben wie
auf dem bisherigen Marsche. Die Menge des Schnees, welcher alles
weit und breit bedeckte, so daß kein Pfad mehr sichtbar war, machte
jeden Tritt unsicher, und die Ausgleitenden stürzten sogleich in jähe
Tiefen hinab, da sie an keinem Steine, an. keinem Strauche sich fest¬
zuhalten vermochten.. Welche Bestürzung ergriff aber die schon Er¬
mattenden, als sie sich plötzlich vor einem Abhange befanden, der es
wenigstens den Pferden und Elefanten unmöglich machte, auch nur
einen Schritt weiter vorwärts zu thun! Hannibal wollte anfangs einen
Umweg nehmen, um so den Abhang zu umgehen; aber der beständige
diese Höhen bedeckende Schnee bildete unter dem neu gefallenen eine so
unsicher zu betretende Eisrinde, daß das Zugvieh, indem es durchbrach,
geradezu stehen bleiben mußte und auch die Menschen, hin und her
gleitend, mehr rückwärts als vorwärts kamen. So sah sich der kar¬
thagische Feldherr genötigt, wieder an den Rand des Abhanges zurück¬
zukehren und einstweilen ein Lager daselbst aufzuschlagen, nachdem er
den Schnee hatte wegschaffen lassen. Als dieses geschehen war^ ließ
er den Abhang ebnen, und so groß auch die damit verbundenen Schwierig¬
keiten waren, so gelang es ihm doch schon am ersten Tage, den Pferden
und dem Zugvieh einen Weg zu bahnen, auf welchem sie in die unten
gelegenen, schon nicht mehr mit Schnee bedeckten Thäler auf die Weide
geführt werden konnten. Aber erst nach drei Tagen war er imstande,
den Weg für die Elefanten zu ebenen, die während der Zeit der Hunger
fast aufgerieben hatte, da weder Baum noch Strauch in jenen Gegenden
zu finden war.
So langte er in der von den Nebenflüssen des Po bewässerten Ebene
an. Sein Heer bestand noch aus 26 000 Mann, nämlich aus 12 000
libyschen und 8000 spanischen Fußgängern und aus 6000 Reitern;
über die Hälfte hatte er auf dem Wege von den Pyrenäen aus durch
Gallien über die Alpen verloren. Dennoch zog er um so mutiger in
den Kampf, da die Truppen, welche er noch hatte, durch den fünf¬
monatlichen mit so mancher Gefahr verbundenen Marsch und selbst