144 A. Erzählende Prosa. V. Geschichtliche Charakterzüge u. Lebensbilder.
Heer, wenn es durch den Paß gezogen wäre, im Rücken anzugreifen
und ihm die Rückkehr abzuschneiden. Als er dies alles im Dunkel
der Nacht angeordnet hatte, erwartete er ruhig die Ankunft des Feindes.
Flaminius war, ohne irgend einen Plan entworfen oder auch nur
Erkundigungen eingezogen zu haben, aus seinem Lager aufgebrochen,
so voll Vertrauen auf einen gewissen Sieg, daß er einen großen Troß
von Menschen mitgenommen hatte, welche Handeisen und Ketten für
die gefangen zu nehmenden Karthager tragen mußten. Gegen Abend
langte er am Ufer des Sees an und bezog ein Lager, ohne etwas von
dem Hinterhalt gewahr zu werden. Mit Anbruch des Tages zog er
durch den Engpaß den schmalen Pfad entlang auf das hinter demselben
sich ausbreitende Feld. Er bemerkte nur die Libyer und Spanier, die
auf den Hügeln gelagert waren. Da gab Hannibal das Zeichen zum
Angriffe, und von allen Seiten stürzten nun die in den Hinterhalt
gelegten Truppen auf die betroffenen Legionen los. Dichter Nebel stieg
vom See und den Hügeln auf und begünstigte des Feindes Unter¬
nehmen. Die Römer wurden, ehe sie noch imstande waren sich zur
Wehr zu fetzen und dem Rufe des Consuls, der sich noch unerschrocken
genug bewies, Folge zu leisten, scharenweise niedergemacht. Als sie
sich jedoch einigermaßen von ihrer Bestürzung gesammelt und die Un¬
gunst ihrer Lage durchschaut hatten, suchten sie wenigstens ihr Leben
nicht ungerächt dem Feinde preiszugeben, und so wütete drei Stunden
lang ein so furchtbarer Kampf in dem von Waffengeklirr und Schlacht¬
ruf hallenden Thale, daß niemand etwas von dem Erdbeben bemerkte,
welches um dieselbe Zeit Etrurien erschütterte und in vielen Städten
ganze Häuserreihen in Schutthaufen verwandelte. Als endlich, von
einem gallischen Speere durchbohrt, auch der Consul gefallen war, eilte
alles in wilder Flucht durch einander, und die Meisten, welche dem
Schwerte des Feindes entrannen, kamen in den Wogen des Sees um,
in welchem sie Rettung gesucht hatten. So fanden an 15 000 Römer
in dieser unglücklichen Schlacht den Tod; ebenso viele wurden gefangen
genommen. Der Verlust der Karthager war unbedeutend, denn von
den 1500 Gebliebenen bestand der größte Teil aus Galliern.
Unbeschreiblich war die Bestürzung in Rom, als der Prätor
M. Pomponius dem versammelten Volke die erlittene große Niederlage
bekannt machte. Wehklagend standen Frauen und Männer an den
Thoren der Stadt, um nähere Kunde von den Ihrigen zu erwarten,
während der Senat mehrere Tage hindurch von Sonnenaufgang bis
Sonnenuntergang über die Maßregeln beratschlagte, welche nun zu er¬
greifen seien. In äußerster Verzweiflung wähnte man den Feind schon
vor den Thoren und schritt zur Wahl eines Diktators in der Person
des Quintus Fabius Maximus, welchem M. Minucius Rufus als
Magister Equitum an die Seite gestellt wurde. Ihnen wurde vom
Senat der Auftrag gegeben, die Mauern und Türme der Stadt zu be¬
festigen, die Brücken abzubrechen und überall, wo es ihnen nötig
schiene, Wachposten aufzustellen.