Masius: Die Vogelwelt.
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wundernd davor stehen und fühlt den warmen Hauch des Gottesodems,
in dem alles Geschaffene lebt und webt. Und nun der Vogel selbst!
Welche leichte, lustige Gestalt! Wie frei hebt sich auf dem schlanken,
beweglichen Halse der Kopf empor! Wie schön wölbt sich die Brust
dem Strome der Wolken und Wellen entgegen! Wie reizend sind die
weichen Linien des dahinsegelnden Schwans! Wie kühn und stark
stemmt sich der Adler auf den straffgespannten Fuß! Dazu nehme
man die Farbenpracht und die zarte Zeichnung des Gefieders, mit
welcher die Natur ihre Lieblinge so reich geschmückt hat, die bunten
Decken, Bänder und Streifen, die schillernden Flecken, Perlen, Augen
und Ringe, das metallische Schimmern und Spielen von Blau und
Grün und Not, die leuchtende, reine Frische ihres Weiß und Schwarz.
Ist doch selbst das Grau der Krähe mehr als jene stumpfe, farblose
Auflösung aller Farben, welche wir sonst wohl mit diesem Namen be¬
nennen.
Was uns aber am meisten an den Vögeln anzieht und wodurch
sie gleichsam über den Kreis des gewöhnlichen Lebens hinausgehoben
werden, ist das wunderbare Vermögen des Fliegens. Durch den Flug
vorzüglich erscheint der Vogel dem Naturmenschen wunderbar. „Die
glücklichen," ruft der Dichter,
„die glücklichen Vögel
Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters.
Raums genug ist für alle; der Pfad ist keinem bezeichnet,
Und es regen sich frei im Hause die großen und kleinen.
Über dem Haupt frohlocken sie mir, und es sehnt sich auch mein Herz
Wunderbar zu ihnen hinauf". (Hölderlins
Aber welche Fülle freiester und schönster Bewegungen entfaltet
sich hier auch! Dieses majestätische Kreisen und Schwimmen, dieses
wählige, selige Schwanken und Schweben, dieses Huschen und Flattern,
dieses Schießen, Sinken und Steigen,
„Jetzt, wo drunten der Waldstrom braust,
Jetzt, wo oben die Wolke saust,
Jetzo mit einem Mal
Nieder von Berg zu Thal" —
(Deinhardstein.)
fürwahr, es ist, als tummelten sich die Geister der Luft in Spiel und
Reigen.
Ich übergehe die Wanderzüge, die Kämpfe und die anderen be¬
wundernswürdigen Triebe der Vögel, um nur noch ihres Gesanges zu
gedenken. Freilich ist wohl nicht allen die Gabe der Stimme geliehen,
von einem Gesänge kann sogar nur bei wenigen geredet werden; aber
doch stehen sie auch hierdurch, ja hierdurch mehr noch als durch ihren
Flug über allen anderen Tieren. Der Gesang ist des Vogels Ge¬
heimnis und Wesen., Ohne die stimmbegabte Kehle mögen wir uns
die Wildlinge des Äthers kaum denken; der stumme Vogel ist eine
einsame, oft eine düstere Erscheinung. Die Abstufungen, denen wir
hier begegnen, sind geradezu unendlich. Welche Welt von Tönen liegt
zwischen dem Gekrächze des Raben und dem Schlage der Nachtigall!
Hopf u. Paulsiek, deutsches Leseb. I. 2.
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