Full text: [Abt. 2 = Quinta, [Schülerband]] (Abt. 2 = Quinta, [Schülerband])

Mügge: Der Heringsfang an der Küste von Norwegen. 213 
Fang gut ist, in jeder Masche des Netzes auch ein Fisch steckt. Dabei 
ist ihre Menge so ungeheuer, daß sie zuweilen eine Wand bilden, welche 
bis auf den Grund hinabreicht und von deren Druck nach oben die 
Böte dann mehrere Zoll hoch aus dem Wasser gehoben werden. Achtzehn 
Netze stellt jedes Boot und wirft die andere Hälfte aus, sobald es die 
erste mit dem Fang herausgezogen. Und während nun jene sich wieder 
füllt, rudern die Fischer mit den armen Opfern ihrer Schlauheit zum 
Strande, wo der Kaufmann wartet. Dort werden sie gezählt und ihm 
überliefert. Schaluppen stehen bereit, in deren Raum die Fische ge¬ 
worfen werden, und sobald die Fahrzeuge gefüllt sind, eilen sie nach 
Stavanger oder Bergen. 
Dort nun eröffnet sich an der deutschen Brücke ein neues Schau¬ 
spiel. Arbeiter karren den Hering aus den Schiffen unter die weiten 
Durchgänge der Häuser. Hier sitzt, von Tonnen umringt, eine große 
Anzahl Menschen, größtenteils alte Frauen, die mit dem Messer in 
der Hand das Werk des Auskehlens verrichten. Die Karren werden 
bei ihren Plätzen umgestürzt, so daß die Frauen halb in Fischbergen 
vergraben sind; nun ergreifen sie den einen nach dem andern, schneiden 
ihm die Kehle auf und reißen mit einem kunstgemäßen Zuge Gedärme 
und Eingeweide heraus. Dann werfen sie ihn in die bereit stehenden 
Tubben, und sie haben in dieser Arbeit eine solche Gewandtheit, daß 
vielen tausend Fischen täglich dasselbe widerfährt. 
Sobald die Tubben gefüllt sind, werden sie von andern Arbeitern 
an den Platz des Einsalzens gefahren, dort die Fische in Fässer ge¬ 
packt und mit Salzlake begossen; die Tonnen, vom Böttcher geschlossen 
und in den Magazinen aufgestapelt, sind nun zur Ausfuhr fertig. Wenn 
man bedenkt, daß in den letzten guten Zeiten von Bergen allein jährlich 
beinahe 300 000 Tonnen Heringe ausgefahren sind, kann man sich wohl 
einen Begriff von der Größe und Lebendigkeit dieses Handels machen. 
Alle gewinnen dabei. Das Holz zu den Tonnen kommt aus den 
Wäldern, und die Eigentümer derselben, die Bauern, welche es heran¬ 
fahren, die Handwerker, welche es verarbeiten, die Frauen und Kinder, 
die den Hering auskehlen, die Männer, welche ihn herbeischaffen, die 
Fischer und Schiffer, die Bootsleute und Reeder, vor allen aber die 
Kaufleute teilen sich in den Vorteil. 
Der Fang geht ununterbrochen vier Wochen lang und oft länger 
vor sich. Wie viele Fische auch in dieser Zeit in der ungeheuern Zahl 
von Netzen herausgezogen werden, die Masse der übrig bleibenden scheint 
dadurch nicht vermindert. Immer neu drängt sich das unermeßliche 
Heer herauf auf die Oberfläche, und draußen vor den Scheren, oft 
mitten zwischen den Fischerbooten, liegen die Wale wie abgerichtete 
Schäferhunde auf der Lauer und scheuchen die furchtsame Herde zurück, 
wenn sie Miene macht sich zu entfernen. Mensch und Walfisch haben 
einen Bund geschlossen zur Vernichtung des unglücklichen, widerstands¬ 
losen Gefangenen, der ihrer Wut allein durch seine unvertilgbare Menge 
spottet, welche sich zur Schlachtbank drängt. Hunderte von Walen haben 
das Heringsheer herangetrieben, sie haben es schon weit im Meer er-
	        
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