Full text: Klasse 5 (sechstes Schuljahr) (Teil 5, [Schülerband])

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Olymp, denn sie konnte den betäubenden Duft nicht länger ertragen, 
der die ganze Höhle durchdrang. Aber der Schlaf wählte aus der Schar 
seiner tausend Kinder den Morpheus, daß er den göttlichen Befehl aus¬ 
führe; denn dieser war vor allen geschickt, Gang und Stimme, Gestalt 
und Antlitz der Menschen nachzuahmen. Der Alte sank zurück und barg 
wieder das Haupt im weichen Polster; Morpheus aber flog mit ge¬ 
räuschlosen Fittichen durch die Nacht und neigte sich über das Lager 
der schlummernden Halkyone. In des Ertrunkenen Gestalt, totenbleich, 
nackt, mit triefendem Bart und Haupthaar, die Wangen mit Tränen 
überströmt, sprach er also: „Kennst du deinen KeyX noch, armes 
Weib? Oder hat der Tod mir die Mienen verwandelt? Du kennst 
mich! Ach, ich bin nicht Keyr, nein, nur sein Schatten. Ich bin tot, 
Geliebte. Im Ägäischen Meer, wo der Sturm unser Fahrzeug zerschellte, 
schwimmt meine Leiche. Darum lege Trauerkleider an, und weihe mir 
Tränen, daß ich nicht unbeweint in die traurige Unterwelt wandeln 
mutz!" Zitternd streckte die Schlafende die Arme aus, ihr eignes 
Schluchzen weckte sie. „O bleibe! Wo eilst du hin?" rief sie dem 
schwindenden Traumbild nach, „latz mich mit dir gehen!" Als sie nun 
allmählich zum vollen Bewutztsein kam, schlug sie das Haupt mit den 
Händen, zerraufte sich das goldene Lockenhaar, zerritz ihr Gewand und 
schrie laut auf vor unendlichem Jammer. 
So nahte der Morgen. Da ging sie hinaus an das Meeresgestade, 
den Ort zu besuchen, wo sie einst dem Geliebten die letzten Grütze nach¬ 
gesandt hatte. Wie sie so mit tränenden Augen in die blaue Ferne 
blickte, da erschien plötzlich weit vom Strande in den Wellen etwas wie 
ein menschlicher Körper. Immer näher trugen es die Wogen heran, 
und je näher es kam, je mehr und mehr schwanden ihr die Gedanken. 
Jetzt, jetzt schwamm es ganz nah ans Land. „Er ist's!" schreit die 
Unglückliche, die Hände nach dem Leichnam des teuren Gatten aus¬ 
streckend, „so also kehrst du mir zurück, du Armer! Wohlan, empfange 
mich denn, ich komme zu dir!" In die Flut will sie sich stürzen, aber 
siehe! Flügel heben sie durch die Luft, wehmütig klagend flattert sie 
als Vogel dicht über die Gewässer hin und schwingt sich schluchzend 
an die Brust des toten Gemahls. Und ist es nicht, als ob er die Nähe 
des trauten Weibes fühlte? Ja, wahrlich, die mitleidigen Götter ver¬ 
wandeln auch seine Gestalt und leihen ihm neues Leben. Als Eisvögel 
hallen die beiden Gatten noch immer treu die alte, zärtliche Liebe, 
in nie getrenntem Ehebund leben sie fort. Mitten zur Winterzeit
	        
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