Full text: [Band 1 = Sexta, [Schülerband]] (Band 1 = Sexta, [Schülerband])

er von dem Gefundenen nichts genommen und das Päcklein nicht 
versehrt habe. Da war guter Rat teuer. Aber der gute Richter, 
der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte Gesinnung des 
andern zum voraus zu kennen schien, griff die Sache so an. Er 
ließ sich von beiden über das, was sie aussagten,-eine feste und 
feierliche Versicherung geben und tat hierauf folgenden Aus¬ 
spruch : „Demnach, wenn der eine von euch achthundert Taler 
verloren, der andere aber nur ein Päcklein mit siebenhundert Talern 
gefunden hat, so kann auch das Geld des letztem nicht das nämliche 
sein, auf das der erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher Freund, 
nimmst also das Geld, das du gefunden hast, wieder zurück 
und behältst es in guter Verwahrung, bis der kommt, der nur 
siebenhundert Taler verloren hat. Und dir da weiß ich keinen 
bessern Rat als den: Du geduldest dich, bis derjenige sich meldet, 
der deine achthundert Taler findet." So sprach der Richter, und 
dabei blieb es. 
57. Das brave Mütterchen. 
K. Müllenhoff, Sagen, Märchen und Lieder aus Schleswig-Holstein. 
war im Winter, und das Eis stand. Da beschlossen die 
Husumer, ein großes Fest zu feiern; sie schlugen Zelte 
auf, und alt und jung, die ganze Stadt, versammelte 
sich draußen. Die einen liefen Schlittschuh, die anderen fuhren 
in Schlitten; in den Zelten erscholl Musik, und Tänzer und 
Tänzerinnen schwenkten sich herum, und die Alten saßen an den 
Tischen und tranken eins. So verging der ganze Tag, und der 
helle Mond ging auf; aber der Jubel schien nun erst recht an¬ 
zugehen. 
\Nur ein altes Mütterchen war von den Leuten allein in der 
Stadt geblieben. Sie war krank und gebrechlich und konnte ihre 
Füße nicht mehr gebrauchen; aber da ihr Häuschen auf dem 
Deiche stand, konnte sie von ihrem Bett aus aufs Eis hinaus¬ 
sehen und die Freude betrachten. Wie es nun gegen den Abend 
kam, da gewahrte sie, indem sie so auf die See hinaussah, im 
Westen ein kleines, weißes Wölkchen, das eben aus der Kimmung auf¬ 
stieg. Gleich befiel sie eine unendliche Angst; sie war in früheren 
Tagen mit ihrem Manne zur See gewesen und verstand sich wohl 
auf Wind und Wetter. Sie rechnete nach: In einer kleinen Stunde 
wird die Flut da sein, dann wird ein Sturm losbrechen, und alle 
sind verloren. Da rief und jammerte sie so laut, als sie nur konnte;
	        
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