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aus Norddeutschland in unser Hessenland verzogen sind, so wun¬
dere dich nicht, wenn plötzlich die Stubentüre aufgeht und unter
dem Rufe „Julklapp" ein großer Pack hereingeschleudert wird,
ohne daß du den Spender siehst. Gewöhnlich ist die Umhüllung
recht groß und gibt zu vielen Scherzen Anlaß, bis die kleine Gabe
zum Vorschein kommt. Der Ruf „Julklapp" ist auch so ein Klang,
der von dem alten Julfest her noch zu uns tönt. Selbst mancher
Weihnachtsbraten erinnert an den alten Festschmaus. Gehe nur
einmal am Festtag in ein ordentliches Bauernhaus, da wirst du
auch heute noch ein saftiges Stück Schweinefleisch auf dem Tische
finden. Ein christlicher Brauch aber ist, wenn die Kinder armer Leute
die Straßen des Dorfes durchziehen, um in den einzelnen Häusern
ihre Weihnachtslieder zu singen, und die Mutter ihnen zum Dank
für ihre Weise „Ehre sei Gott in der Höhe!" mit mildtätiger Hand
ihre Gaben austeilt. Denn sind auch die Sitten und Gebräuche in
den verschiedenen Gegenden unserer Heimat nicht überall ganz
gleich und im hochgelegenen Gebirgsdörflein etwas anders als in
der großen Stadt, ein Brauch ist doch überall der gleiche, und ihn
wollen wir festhalten, das ist die schöne Sitte, am Weihnachtsfest,
das von himmlischer Liebe spricht, auch den Menschenkindern Liebe
zu erweisen.
b. Ostern.
„Welt lag in Banden,
Christ ist erstanden,
Lreue dich, freue dich, o Christenheit!"
Mit diesem alten Liede begrüßt die Christengemeinde im
Gotteshaus den Ostermorgen, der ihr zu einem rechten Siegesfest
geworden ist, zu dem auch die Natur ihre Palmen bietet. Be¬
lebend geht die Ostersonne über Wald und Leid und erlöst die
Fluren aus des Winters Bann, um sie zu neuem Leben zu wecken,
das so zum Sinnbild des ewigen Lebens wird, das der Auferstandene
den Gläubigen verbürgt. Schon Jahrhunderte vor dem Einzug des
Christentums ward in unseren Gauen ein Osterfest gefeiert, das
freilich der Göttin Ostara galt, die überall die Blumen und Gräser,
die Blüten und Blätter aus ihrem Füllhorn streut. Dann aber
ward das Frühlingsfest der christlichen Kirche an die Stelle des alten
Festes gesetzt, das den Frühlingsanfang feierte. Frühlingsanfang!
Wie fröhlich klingt uns dies Wort doch entgegen! Von Weih¬
nachten bis gegen Ostern hat das täglich langsam zunehmende
Licht noch immer mit der stets abnehmenden Finsternis kämpfen
Deutsches Lesebuch f. d. höh. Schulen des Grobherzogtums. Band I.
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