Full text: [Band 1 = Sexta, [Schülerband]] (Band 1 = Sexta, [Schülerband])

17. Der Löwe und der Hase. 
Gotthold Ephraim Lessing. 
Ein Löwe würdigte einen drolligen Hasen seiner näheren Bekannt¬ 
schaft. „Aber ist es denn wahr," fragte ihn einst der Hase, „daß euch 
Löwen ein elender, krähender Hahn so leicht verjagen kann?" ^Aller¬ 
dings ist es wahr," antwortete der Löwe, ,,und es ist eine allgemeine 
Erfahrung, daß wir großen Tiere durchgängig eine gewisse kleine 
Schwachheit an uns haben. So wirst du zum Exempel von dem Ele¬ 
fanten gehört haben, daß ihm das Grunzen eines Schweines Schauder 
und Entsetzen erweckt." ,,Wahrhaftig?" unterbrach ihn der Hase. „Ja, 
nun begreift ich auch, warum wir Hasen uns so entsetzlich vor den 
Hunden fürchten." 
18. Der Esel und der Wolf. 
Gotthold Ephraim Lessing. 
Ein Esel begegnete einem hungrigen Wolfe. ,,habe Mitleid mit 
mir," sagte der zitternde Esel, „ich bin ein armes krankes Tier,- sieh 
nur, was für einen vorn ich mir in den Fuß getreten habe!" — 
„Wahrhaftig, du dauerst mich," versetzte der Wolf, „und ich finde 
mich in meinem Gewissen verbunden, dich von diesen Schmerzen zu 
befreien." — Kaum war das Wort gesagt, so ward der Esel zerrissen. 
19. Der Rabe und der Fuchs. 
Gotthold Ephraim Les sing. 
Ein Nabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtner 
für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in seinen Klauen 
fort. Und eben wollte er es auf einer alten Eiche verzehren, als sich 
ein Fuchs herbeischlich und ihm zurief: „Sei mir gesegnet, Vogel des 
Jupiter!" „Für wen siehst du mich an?" sagte der Nabe. „Für wen 
ich dich ansehe?" erwiderte der Fuchs. „Bist du nicht der rüstige Adler, 
der täglich von der Uechten des Zeus auf diese Eiche herabkommt, 
mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn 
nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch 
dich zu schicken noch fortfährt?" Der Uabe erstaunte und freute sich 
innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, dachte er, den 
Fuchs aus diesem Irrtum nicht bringen. Großmütig dumm ließ er ihm 
also seinen Uaub herabfallen Md flog stolz davon. Der Fuchs fing 
das Fleisch lachend auf und fraß es mit boshafter Freude. Doch bald
	        
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