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draußen stehe." Hub so geschaht. Das Mütterlein saß Leim Morgen¬
kaffee, als der Vater eintrat. „Guten Morgen, Mutter!" rief er ihr zu.
„Gute Fahrt gehabt. Aber draußen steht ein armer Reisender, der kommt
weither, hat seit gestern nichts Warmes im Leibe. Trage ihm doch ein
Töpfchen Kaffee hinaus und ein Butterbrot!" Und nun kam sie. „O du
mein Gott! Mein Heinrich, mein guter Sohn! Nein, mich so zu be¬
lügen!" Und sie wollte mich nicht wieder loslassen. Aus dem Gärtchen
hinter dem Hause schritt ein junges Mädchen herein; sie hatte einen
Rosenstrauß geschnitten. War das das Schwesterchen Luise, das ich vor
vier Jahren noch im kurzen Röllchen und den langen Zöpfen gesehen?
Ja freilich, sie war's. „Grüß' Gott, lieb Schwesterlein! Wie groß und
hübsch! Man kennt dich ja kaum wieder." Welche Freude, als ich nun
zwischen Mutter und Schwester hineintrat! „Nun vorwärts, an deinen
alten Platz!" rief der Vater. Wir saßen lange, lange beim Morgen¬
kaffee; das Fragen und Erzählen wollte kein Ende nehmen.
Am Nachmittage ging ich in meiner schön geputzten Uniform ins
Dorf, um meinen liebsten Freund Hermann Ebert aufzusuchen. Da lag
das Häuschen des Steinbrechers Ebert, in dem wir die schönsten Stunden als
Knaben und Jünglinge verlebt hatten. Zwar waren die Fenster klein,
aber es war ganz aus Stein gebaut, der ja in unserer Gegend billig zu
haben ist. Stark klopfte ich an, und freudestrahlend trat ich ein. Doch
was war das? Hermann saß blaß und still am Tische, seine Mutter und
drei kleinere Geschwister trugen schwarze Kleider und ebensolche Halstücher.
Die Mutter hatte verweinte Augen. Hermann drückte mir stumm die
Hand, und eine Träne trat ihm ins Auge. „Der Vater?" fragte ich
angstvoll. „Ja, der Vater, vor 14 Tagen haben wir ihn begraben. Du
kennst ja die Steinbrecherkrankheit." Freilich kannte ich die bösartige
Seuche. Wer Tag für Tag den Staub des Sandsteins einatmen muß,
dem dringt er in die Lunge. Daran waren schon viele Dorfleute ge¬
storben in ihren besten Jahren. Ich sprach der Mutter mein Mitgefühl
aus und wagte kaum, die kleinen Geschenke hinzulegen, die ich aus der
Fremde für die Lieben mitgebracht hatte.
Hermann zog den Roll an, und wir schritten hinaus. „Und du
willst trotzdem im Steinbruche bleiben?" fragte ich. „Ja," sagte er
traurig, „was bleibt mir übrig? Ich muß die Mutter und drei Schwestern
erhalten und verdiene als Hohlmacher täglich fast vier Mark. Wo kann
ich sonst so viel erschwingen?" Leider mußte ich ihm recht geben. Wir
wanderten nach dem Bruche zu und kamen bald an die Stelle, wo eine
neue Wand zu Fall gebracht werden sollte. „Wir arbeiten seit zwei Jahren
daran", sagte er. „Wie der Holzfäller mit der Axt unten am Stamme
ein Stück nach dem andern abspellt, bis der Baum stürzt, so müssen wir
den Felsen unterhöhlen. Wir sind jetzt zwölf Meter hinein. Natürlich
müssen wir auf dem Bauche unter die Wand kriechen und liegend mit der
Spitzhaue und mit Pulver arbeiten. Das ist eine schwere Sache, jahraus,
jahrein da unten zu stellen, wo man sich kaum regen kann, und wo einem
der Steinstaub in Mund und Nase eindringt. Wie du siehst, haben wir
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