Full text: Lebenskunde (Teil 1)

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ohne Zweifel mit in bem bamaligen Verfalle bes Papstthums, aber auch 
in ber feit ber neuen Staatsorbnung Karls bes Großen nach unb nach sich 
mehr unb mebr ausbreiteten Theilnahme an ben weltlichen Angelegen¬ 
heiten. Das Kirchliche unb Himmlische füllte ben Geist ber Menschheit nicht 
mehr allein aus. Schon jetzt wetterleuchtete es" in ben Geistern unb ver- 
fünbete bas Gewitter, bas einige Jahrhunberte später, genährt vom Geiste 
bes klassischen Alterthums unb von ber bichterifchen Anlage ber neu gebil- 
beten Nationen, reinigenb in bie schwül geworbene Atmosphäre bes Mittel¬ 
alters herein brach. Eine weitere Ursache bes um bas taufenbste Jahr 
nach Jesu Geburt beginnenben Verfalles ber Klöster lag in ihrem zuneh- 
menben Reichthum. Der Mammon vertrieb bie Wissenschaft, wie in seiner 
Natur liegt; bie Sorge um weltliche Güter brängte bie geistigen in ben 
Hintergrund Der Reichthum verführte bazu, in ben Mußestunben, statt 
bem Apollo unb ber Minerva, bem Bacchus unb ber Venus zu opfern. 
So litt bie Regel Benebikts überall argen Schaben, unb bies weckte heilige 
Männer auf, welche ben Geist jenes Vaters ber Klöster in sich fühlten, 
ohne feine Kraft zu besitzen, unb ohne gleich ihm von bem Charakter 
unb Streben ihrer Zeit begünstigt zu fein. Die Heimath biefer Bestrebun¬ 
gen war Frankreich, unb dieselben begannen schon am Anfange bes zehnten 
Jahrhunberts mit ber Stiftung bes Klosters zu Cluny burch Berno. Im 
zwölften Jahrhunbert erlahmte inbeffen bie Thatkraft von Cluny auch schon 
wieber; Reichthum, Ehrenrechte unb Freiheiten, mit welchen bas Stamm¬ 
kloster von frommen Fürsten überhäuft worben, bienbeten bie Mönche unb 
pflanzten Uebermuth unb bamit Zuchtlosigkeit unter ihnen unb erschütterten 
bie Kongregationen. Doch traten bereits Anbere als Kämpfer in bie ge¬ 
schossene Bresche ein. Die nächsten Nachfolger ber Cluniacenfer im näm¬ 
lichen Geiste waren bie (Sistercienser, benannt nach bem Kloster Citeaux 
bei Dijon (gestiftet 1098), unb ihr Reformprophet würbe feit 1113 Bern¬ 
harb von Clairv aux, nach bem von ihm gestifteten Kloster (clara vallis) 
so genannt, wie hinwieber sein Crben auch nach ihm ben Namen ber Bern¬ 
hardiner erhielt. Er war ein rechter Mann seiner Zeit, ein unerschütterlicher 
Kämpfer für bie Einheit unb Macht, ben Glanz unb Ruhm ber Kirche unb 
bes Papstthums. Durch seine Bemühungen entstauben nicht weniger als 
1800 Klöster bes neuen Crbens in Frankreich, Englanb, Jrlanb, Deutsch- 
laub, Dänemark, Schweben unb Norwegen. Von ben Cluniaeensem unter¬ 
schieben sich bie ßistercienser burch noch strengere Regel. Sie lebten ärmlich 
(wenigstens in ber ersten Zeit), enthielten sich alles Aufwanbes, trugen ben 
Bischöfen tiefste Demuth entgegen unb vertauschten bie schwarze Kutte gegen 
eine Weiße mit schwarzem Skapulier. Der Crben würbe burch einen aus 
ben angesehensten Aebten bestehenben hohen Rath unter unmittelbarer Ober¬ 
aufsicht bes Papstes geleitet unb bie Klöster jährlich untersucht. Doch 
gingen noch im Mittelalter bie meisten Klöster ein unb nur wenige Über¬ 
bauerlen bie Reformation, bie sich bann auch nicht mehr scheuten, bem 
Wohlleben zu fröhnen. Mit bem eben genannten Crben wetteiferte in feiner 
ersten Zeit ber von Norbert aus Xanten 1120 in Premontre bei Reims 
gestiftete P rämonstratenser-Crben. 
Strengere Grunbsätze als bie genannten Crben machte ber von Bruno 
aus Köln (1084) in ber Einobe von Chartreuse bei Grenoble gestiftete 
Karthäuserorben zu den feinigen. Die Mönche mußten beständiges 
Schweigen beobachten unb sich bes Fleisches gänzlich enthalten, unb sie peinigten
	        
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