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„warum lassen Sie mich das nicht tun?" Lächelnd erwiderte der Kaiser:
„Ja, das habe ich nun einmal selbst gemacht, damit der Kranke da unten
mich nicht beim Gehen hört." — Als er einst selber krank war und sein
Kammerdiener ihm auch nachts mehrmals einen heißen Tee reichen sollte,
bereitete er trotz seines schweren Leidens sich mühsam diesen selbst, um
nicht den alten Mann in der Nachtruhe zu stören. Das war derselbe
Kammerdiener, der einst sagte: „Ich bin nun 40 Jahre bei meinem kaiser¬
lichen Herrn, und noch soll ich den ersten Befehl, geschweige denn ein
böses Wort hören. Bei Seiner Majestät heißt es immer: „ich bitte" und
„ich danke", nie anders." Nach verschiedenen Verfassern.
77. Kronprinz Friedrich Wilhelm?')
a) Der deutsche Kronprinz als Arzt.
Im Juli 1865 befand sich zu Karlsbad in Böhmen unter den Bade¬
gästen, die hier Genesung suchten, auch ein Herr, der beim Spazierengehen
von allen Seiten auffallend ehrfurchtsvoll begrüßt wurde und deshalb ein¬
samere Wege aufsuchte.
Da zupfte ihn plötzlich am Rockschoße ein blasses Mädchen, das flehend
zu ihm emporschaute. „Wer schickt dich betteln, mein Kind?" fragte der
Fremde. „Meine kranke Mutter!" antwortete die Kleine. „Wo ist dein
Vater?" „Der ist tot. — Ach, uns hungert so sehr!" setzte sie schluchzend
hinzu. Der Herr, der schon seine Börse gezogen hatte, steckte sie wieder
ein. „Führe mich zu deiner Mutter, Kleine!" sagte er und folgte dem
Mädchen, das ihn durch mehrere Straßen und Gäßchen bis zu einem
kleinen, baufälligen Hause führte. „Hier wohnen wir, Herr!"
Sie kamen über alte, knarrende Treppen hinauf zu einer halbfinsteren
Dachkammer; da war es feucht und kalt, und in der Ecke lag auf ärmlichem
Lager eine kranke Frau. Sie richtete sich stöhnend auf, als der Fremde
eintrat. „O, Herr Doktor", sagte sie, „es ist nicht recht, daß meine
Tochter Sie heimlich gerufen hat. Ich habe keinen Heller und kann nichts
bezahlen." Der fremde Herr winkte einen Diener herein, der ihm gefolgt
war, und sagte ihm einige Worte, worauf dieser sich sogleich entfernte.
„Haben Sie niemand, der für Sie sorgt?" fragte er dann. „Ich habe
keinen Verwandten, der sich um mich kümmern könnte, und meine Wirts¬
leute sind selber arm. Mein Mann war Arbeiter. Solange er lebte,
ging es uns gut; seit er tot ist, habe ich Tag und Nacht gearbeitet, um
uns zu ernähren. Da wurde ich krank, und so kamen wir in Not und
Elend." Der Herr gab dem Mädchen Geld. „Geh, hole Brot und Wein!"
1) Vgl. Dichtung I Nr. 47.