IV
den Buches namentlich noch die Thatsache, daß fast alle Lesebücher für
höhere Schulen, je nach der Heimat ihrer Verfasser, einen gewissen provin¬
ziellen Charakter tragen, daß aber unter allen deutschen Landschaften in
dieser Hinsicht Mitteldeutschland am meisten vernachlässigt geblieben ist.
Während die Volksschule in Sachsen und den angrenzenden Gebieten eine
reiche Auswahl eigener Lesebücher besitzt, sahen sich die höheren Schulen
bisher fast nur auf Entlehnung aus anderen Gebieten Deutschlands an¬
gewiesen. Das neue Lesebuch hat daher versucht, auch in dieser Beziehung
eine Lücke auszufüllen: es ist in erster Linie für Mitteldeutschland be¬
stimmt, also speziell für das Königreich Sachsen, die preußische Provinz
Sachsen, Anhalt und die thüringischen Lande. In Märchen und Sagen,
in Darstellungen aus der Geschichte der einzelnen Länder und ihrer Fürsten¬
häuser, in Landschafts- und Kulturbildern haben diese Gebiete besondere
Berücksichtigung gefunden. Daß der allgemeindeutsche Charakter des
Buches unter dieser Rücksichtnahme auf landschaftliche Beziehungen nicht
gelitten hat, wird schon ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis darthun.
Insbesondere haben es sich die Herausgeber angelegen sein lassen, die er¬
hebende Geschichte des Krieges 1870/71 und die aus jener großen Zeit
stammende patriotische Dichtung nach Gebühr zu verwerten.
Was die Behandlung des Textes der ausgewählten Abschnitte an¬
belangt, so konnte hierbei nicht überall ein gleichmäßiges Verfahren ein¬
gehalten werden. Bei Gedichten glaubten sich die Herausgeber verpflichtet,
den ursprünglichen Text festzuhalten, wo nicht ganz zwingende Gründe zu
einer Änderung nötigten. Es ist ihnen bei dieser Textrevision, bei welcher,
soweit möglich, die Originalausgaben namentlich älterer Dichter aus
den Königlichen Bibliotheken zu Dresden und Berlin benutzt worden sind,
mehrfach gelungen, selbst in allbekannten Gedichten geschmacklose und sinn¬
entstellende Abänderungen, die sich von einem Lesebuch zum andern fort¬
gepflanzt haben, wieder zu beseitigen. Prosaischen Abschnitten dagegen
mußte häufig durch mancherlei Eingriffe diejenige Verständlichkeit und
stilistische Einfachheit verliehen werden, welche der Auffassungskraft und
Gemütsrichtung eines 10—12jährigen Knaben entspricht. Konnten selbst
anerkannte und fast klassische Jugendschriftsteller in dieser Hinsicht nicht
ganz verschont bleiben, so forderten andere zu ziemlich umfangreichen und
einschneidenden Änderungen heraus.
Den ersten beiden, für Sexta und Quinta bestimmten Bänden werden
voraussichtlich im Laufe des Jahres 1882 die für Quarta und Tertia be¬
rechneten nachfolgen. Findet das neue Lesebuch den erhofften Anklang, so
werden die Herausgeber, um den aus Fachkreisen lautgewordenen Wünschen
zu entsprechen, noch einen 5. Band für die Untersekunda oder die erste
Klasse der Realschule II. Ordnung hinzufügen, welcher dem litteratur-
geschichtlichen Unterricht dieser Klasse zu Grunde gelegt werden kann.
Döbeln, den 25. November 1881.
Prof. Dr. Th. Vogel. Dr. C. Hentschel. Dr. A. Müller.
Dr. G. Hey. R. Meyer. Dr. O. Lyon.