121
sinkt es wieder jäh zurück in das entstehende Wellenthal. Ein einziger
Zusammenstoß mit den Seiten des Schiffes würde es vernichten, und
mehr als je wird die Geschicklichkeit des steuernden Vormanns auf die
Probe gestellt. Doch die Zeit drängt, das heraufsteigende Unwetter duldet
keinen Aufschub, und es giebt nur einen Weg, die Schiffbrüchigen zu
retten. „Über Bord mit euch, wir werden euch auffischen," ruft der
Vormann ihnen zu, „aber schnell, fönst seid ihr verloren!" Die Un¬
glücklichen haben keine Wahl. Sie wagen den Sprung, einer nach dem
andern, der Kapitän zuletzt, treu seiner Pflicht. Die tückische Woge
schlägt über ihren Häuptern zusammen, doch beim Auftauchen erfaßt sie
bald die rettende Hand, und alle werden glücklich geborgen.
Es ist die höchste Zeit. Kaum hat das Boot seinen Kiel land¬
wärts gerichtet, da braust die Bö wie ein böser Geist daher. Wiederum
verfinstert sich die Luft; wiederum türmen sich die Wogen und rasselt die
Todestrommel. Das Boot saust dahin über die empörten Wasser, wie
der Sturm ein welkes Blatt jagt. Nie ist die Gefahr größer gewesen.
Die geringste falsche Bewegung des Steuers würde das Boot quer vor
die Wellen bringen, und dann wäre das Kentern unvermeidlich. Doch
das Auge des Vormanns wacht, und seine geschickte Hand hält das Fahr¬
zeug in der rettenden Richtung.
Ein grauer Streifen schimmert durch den Wasserdampf — Land!
Gottlob, es ist die richtige Stelle. Dort ragt die Flaggenstange empor,
dort erkennt er die Gestalten seiner Lieben. Hoch oben auf dem Kamm
der Welle stürmt das Boot den Strand hinauf. Blitzschnell springen
die Ruderer hinaus, sobald es den Grund berührt und halten es aufrecht.
Die zweite und die dritte Woge kommen donnernd herangerollt, aber sie ver¬
mögen nicht mehr zu schaden, sie müssen helfen es weiter hinauszuschieben,
und bald ist es außer aller Gefahr.
Ein donnerndes Hurra begrüßt Retter und Schiffbrüchige, doch der
alte Vormann winkt mit der Hand. Er entblößt sein graues Haupt, und
in Demut beugen alle die Kniee vor dem dort oben, der das Werk
gelingen ließ und in größter Not seine Hand über ihnen hielt.
Als die Bö vorüber war, suchte das Auge vergebens nach dem
Wrack. Es war spurlos verschwunden.
Die Ruine.
Von G. Tschache.
Nach einer stundenlangen Wanderung im Gebirge sahen wir plötz¬
lich die ersehnte Ruine aus einem hohen, steilen Bergkegel vor uns liegen.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, und ihre Strahlen warfen
ein so glänzendes Licht auf die majestätischen Felsen, Türme und Mauer¬
reste, daß sie über die dunkeln Laubmassen im Vordergründe leuchtend
hervorschimmerten. In wenigen Minuten befanden wir uns am Fuße