Full text: Anhang zum 1. Band de[s] Lesebuch[s] für Latein- und Realschulen (Band 1, Anhang, [Schülerband])

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Sohn, dem Würgen, von Dietrichs Mannen Einhalt gethan hätte. Unter 
seinen Streichen fiel Dietleib, der nie besiegte Held, und unzählige andere. 
Während seine Freunde flohen, bahnte sich Wittich durch Besiegte und Ver¬ 
folger den Weg zu einer Anhöhe, von wo er weithin Umschau halten 
konnte. Aber zu seinem Entsetzen erkannte er, daß es derselbe Ort war, au 
dem er einst Alphart erschlagen hatte. Allein er hatte keine Zeit, hier weh¬ 
mutsvollen Gedanken nachzuhängen. Ein Recke naht sich, Herzog Nudung 
ist es, des Markgrafen Rüdiger von Bechelaren Sohn; auch er erliegt 
nach erbittertem Kampfe den furchtbaren Schlägen Wittichs mit seinem 
Schwerte Miming. 
Und als hätte Wittich des Jammers noch nicht genug angerichtet, 
führte ihm ein unselig Schicksal die drei Jungherren, die Dietrich in Bern 
wohl geborgen wähnte, entgegen. 
Schwer, wahrlich, ist es, den Mut ungestümer Heldensöhne zu 
zügeln und zu bewachen! Das sollte auch Jlsan erfahren. Denn den 
edlen Sprossen großer Väter war es herzlich leid, müßig zu Hause zu 
sitzen, während die andern in heißer Feldschlacht das Leben wagten. Sie 
knieten vor Jlsan nieder, herzten und küßten ihn und hörten nicht eher 
auf zu bitten, bis er sich entschloß, mit ihnen nach der thränenvollen 
Wahlstatt zu reiten. Wohl hatten sie es sich vorgenommen, den Streit 
zu meiden; sowie sie aber Herzog Nudung unter Wittichs Händen fallen 
sahen, da waren alle ihre guten Vorsätze vergessen; der mächtig aus¬ 
wallende Zorn trieb sie an, gegen den furchtbaren Mann anzureiten. 
Scharf dringt zuerst auf Wittich ein; allein bald sinkt er, von Miming 
getroffen, mit gespaltenem Kopfe nieder ans die Blumen der Heide. Nicht 
besser ergeht es Ort; er vermag nicht den Bruder zu rächen; auch er 
erhält die Todeswnnde. So steht der jugeudschöne Diether allein dem 
grimmen Recken gegenüber. „Reite hinweg!" ruft Wittich, „um deines 
Bruders willen mag ich dich nicht fällen!" Doch ihm wird die Antwort: 
„Du böser Hund, Dietrich hast du verraten, die Freunde mir erschlagen! 
Rache will ich; einer von uns soll und muß sterben." Muthig hieb 
Diether aus den viel stärkeren Gegner ein, dessen wuchtigen Schlägen er 
durch die Schnelligkeit, in der ihm keiner gleichkam, auswich. Schon 
hatte er dem Feinde tief klaffende Wunden geschlagen, daß das rote Blut 
aus dem Panzer hervorquoll, da ergriff Wittich eine namenlose Wut, und 
mit einem entsetzlichen Streiche hieb er den Jüngling von der Achsel bis auf den 
Gürtel durch, daß augenblicklich die Heldenseele den leblosen Körper verließ. 
Doch wie hätte sich der finstere Gesell' seiner Siege freuen können! 
Erschlagen hatte er Nudung, den Sohn seines Gastsreundes, getötet die 
Söhne Etzels, der ihm nur Gutes erwiesen, und den einzigen Bruder dem 
entrissen, dem er einst durch Treueid und traute Freundschaft verbunden 
war! Er will zu Rosse steigen, aber die Kraft versagt ihm, und ermattet 
muß er sich unter den Leichen niederlegen! Erst später reitet er von dannen.
	        
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