Full text: Frankfurter Lesebuch für Fortbildungsschulen

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Der Meister kann die Form zer— 
brechen 
mit weiser Hand, zur rechten Zeit; 
doch wehe, wenn in Flammenbächen 
das glüh'nde Erz sich selbst befreit! 
Blindwütend, mit des Donners 
Krachen, 
zersprengt es das geborst'ne Haus, 
und wie aus offnem Höllenrachen 
speit es Verderben zündend aus. 
Wo rohe Kräfte sinnlos walten, 
da kann sich kein Gebild gestalten; 
wenn sich die Völker selbst befrein, 
da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn. 
Weh, wenn sich in dem Schoß 
der Städte 
der Feuerzunder still gehäuft, 
das Volk, zerreißend seine Kette, 
zur Eigenhülfe schrecklich greift! 
Da zerret an der Glocke Strüngen 
der Aufruhr, daß sie heulend schallt 
und, nur geweiht zu Friedensklängen, 
die Losung anstimmt zur Gewalt. 
Freiheit und Gleichheit! hört man 
schallen; 
der ruh'ge Bürger greift zur Wehr, 
die Straßen füllen sich, die Hallen, 
und Würgerbanden ziehn umher. 
Da werden Weiber zu Hyänen 
und treiben mit Entsetzen Scherz; 
noch zuckend, mit des Panthers Zähnen, 
zerreißen sie des Feindes Herz. 
Nichts Heiliges ist mehr; es lösen 
sich alle Bande frommer Scheu; 
der Gute räumt den Platz dem Bösen, 
und alle Laster walten frei. 
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, 
verderblich ist des Tigers Zahn; 
jedoch der schrecklichste der Schrecken, 
das ist der Mensch in seinem Wahn. 
Weh denen, die dem Ewigblinden 
des Lichtes Himmelsfackel leihn! 
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur 
zünden 
und äschert Städt' und Länder ein. 
Friedr. v. Schiller. 
199. An den Kaiser Wilhelm. 
(1871). 
An zweiundzwanzig Jahre sind's, 
da winklest Du, der Preußenprinz, 
mich hier zum Zwiegespräch nach 
Tische 
zu Dir in eine Fensternische. 
Ich mußte Dir auf Deine Sragen 
nach unsrer jungen deutschen Flotte 
nur wenig anderes zu sagen, 
als daß sie, kaum gebaut, verrotte. 
Dann mußt' ich Dir das innre 
Treiben 
des deutschen Parlaments be⸗ 
schreiben, 
das Spiel der Eifersüchteleien, 
das hadern, Markten der Parteien, 
eh' Meisterin die unsre ward, 
Und wie wir, an der Gegenwart 
perzweifelnd, dennoch unverzagt 
zuletzt den großen Wurf gewagt, 
mit dem wir auf die Zukunft 
zählten 
und auf des Rechten Werdemacht, 
als wir, selbst hoͤffnungslos, ver— 
lacht, 
zum Kaiser Preußens König 
wählten. 
„Ja“, sagtest Du, o Herr, dagegen, 
„Ihr wart in vielem zu verwegen. 
Erst Schiffe baun, hernach das 
Reich, 
das war und bleibt ein Jugend⸗ 
streich. 
Doch seid getrost und unverzagt, 
Ihr habet nicht umsonst getagt, 
wie lange Zeit es auch so scheine; 
denn unvergessen bleibt das eine, 
mein fürstlich Wort zum Unter— 
pfand,
	        
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