Full text: Deutsches Lesebuch für die unteren Klassen höherer Lehranstalten

206 Aus der Weltgeschichte. 
so war das ein Zeichen, daß er gar nicht Sattel hob und zur Erde niederstreckte, 
oder doch nur schlecht getroffen hatte. Oft erhielt als Dank aus schöner Hand ein 
auch vertauschte der Ritter seine gebrochene goldenes Blatt. Hatte an ihm der Gegner 
Lanze mit einer andern; mancher brach vergeblich seine Lanze zersplittert, und er 
sogar fünfzig Lanzen an einem Tage. Nach war selbst fest im Sattel geblieben, so wurde 
dem ersten Kämpferpaare wurde das zweite ihm ein silbernes Blatt zu teil. Acht Tage 
aufgerufen, dann das dritte, vierte, und so lang dauerte dieses Turnier abwechselnd 
ging es weiter, meist drei Tage, oft aber mit Tänzen und Gastmahlen. 
auch Wochen lang. Bisweilen traten die Die Turniere waren ein männliches und 
Ritter auch scharenweise gegen einander auf. edles, aber auch ein sehr gefährliches Ver— 
Den Beschluß der Ritterspiele machte die gnügen. Oft fiel bei denselben großes Un— 
Verteilung des Dankes, d. h. des Prei- glück vor. Mancher Ritter stürzte in seiner 
ses. Dieser wurde nach dem Ausspruche schweren Rüstung und zerbrach Arm und 
der Kampfrichter demjenigen Ritter erteilt, Bein. Mancher wurde von seinem Gegner 
der sich am meisten ausgezeichnet hatte. Er tödlich verwundet oder gar auf der Stelle 
galt eben so viel als ein Sieg auf dem getötet. So hatte noch im Jahre 1559 
Schlachtfelde. Unter dem Schalle der Pau- der König von Frankreich, Heinrich II., 
ken und Trompeten wurde der Name des das Unglück, einen Lanzenstich durch das 
Siegers laut ausgerufen. Dann nahte rechte Auge in den Kopf zu erhalten, und 
sich dieser ehrerbietig den Damen, welche starb an der Wunde. Oft sogar brauchten 
den Dank verteilten, und empfing knieend Ritter die Turniere als Gelegenheit, frühere 
aus schöner Hand irgend ein teures Klei- Beleidigungen zu rächen, und dann glichen 
nod, einen Helm oder ein Schwert, oder die Turnierplätze zuweilen kleinen Schlacht— 
eine goldene Kette, oder einen Ring u. dgl. feldern. Im Jahre 1240 wurden auf 
Die Pauken und Trompeten erklangen dann einem Turnier zu Neuß gegen sechzig Ritter 
aufs neue. Dann ward der Sieger feier- und Knappen erschlagen oder von dem ent— 
lich, unter gewaltigem Zulaufe der schau- setzlichen Staube erstickt. Das Turnier zu 
lustigen Menge, ins Schloß geführt. Hier Darmstadt im Jahre 1403 ward zur blu— 
empfing ihn ein schöner Kreis von Edel- tigsten Fehde zwischen fränkischen und hessi— 
frauen, welche ihm die schwere Rüstung schen Rittern. Solcher Vorfälle wegen 
abnahmen und ihm prachtvolle Feierkleider eiferte die Geistlichkeit sehr gegen diese 
darreichten. Am Abend folgte ein kostbarer Spiele und versagte nicht selten denjenigen, 
Schmaus und ein großer Ball. An der die in Turnieren gefallen waren, ein christ— 
Tafel bekam der Sieger den Ehrenplatz liches Begräbnis. Welter. 
und wurde zuerst bedient; auch eröffnete 
er abends den Ball. 
Außer dem Lanzenstechen gab es noch 
viele andere Spiele, nicht allein zu Pferde, 87. Rudolf von Habsburg. 
sondern auch zu Fuß. Die Turniere wur- Am Ufer der Aar, in dem Schweizer 
den überhaupt mit der Zeit immer glän- Kanton Aargau, erheben sich auf einem 
zender. Eins der prachtvollsten gab der den Stürmen freistehenden Hügel die Rui— 
Markgraf von Meißen, Heinrich der nen des Schlosses Habsburg, die weit über 
Erlauchte, zu Nordhausen. Dort hatte die Gegend hinschauen. Dieses Schloß war 
er in der Mitte eines großen Platzes, auf das Stammhaus des berühmten Grafen 
welchem das Turnier gehalten wurde und Rudolf von Habsburg, der im Jahre 
der einen Lustgarten vorstellte, einen an- 1273 zum deutschen Kaiser erwählt wurde. 
sehnlichen Baum von Silber mit goldenen Er besaß noch mehrere andere Güter in 
und silbernen Blättern errichten lassen. der Schweiz sowohl als im Elsaß und stand 
Jeder Ritter, der seinen Gegner aus dem deshalb als ein mächtiger Herr in großem
	        
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