Full text: [Teil 1 = Kl. 6 und 5, [Schülerband]] (Teil 1 = Kl. 6 und 5, [Schülerband])

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schlug mit seinem holzschuh das Eis in Stücke und trug das Entlein 
heim zu seiner Frau. Da kam es wieder zu sich. Die Kinder wollten 
mit ihm spielen; aber das Entlein glaubte, sie wollten ihm etwas zu¬ 
leide tun, und suhr in der Ungst gerade in den Milchnapf hinein, so daß 
die Milch in die Stube spritzte. Die Frau schlug die Hände zusammen, 
woraus es in das Butterfaß, dann hinunter in die Mehltonne und wieder 
heraus flog, wie sah es da aus! Die Frau schrie und schlug mit der 
Feuerzange danach; die Kinder rannten einander über den Hausen, um 
das Entlein zu sangen; sie lachten und schrien. — Gut war es, daß 
die Tür ausstand und es zwischen die Heiser in den frisch gefallenen 
Schnee schlüpfen konnte; — da lag es ganz ermattet. 
Uber all die Not und das Elend, welche das Entlein in dem harten 
Winter erdulden mußte, zu erzählen, würde zu trübe sein. — Es lag 
im Moore zwischen dem Schilf, als die Sonne wieder warm zu scheinen 
begann. Die Lerchen sangen; es war herrlicher Frühling. 
Da konnte auf einmal das Entlein seine Flügel schwingen; sie 
brausten stärker als früher und trugen es kräftig davon, und ehe es 
dasselbe recht wußte, befand es sich in einem großen Garten, wo der 
Flieder duftete und seine langen grünen Zweige bis zu den geschlängelten 
Kanälen hinunter neigte. (D, hier war es schön, so frühlingsfrisch! Und 
vorn aus dem Dickichte kamen drei prächtige weiße Schwäne; sie brausten 
mit den Federn und schwammen leicht aus dem Wasser. Das Entlein 
kannte die prächtigen Tiere und wurde von einer eigentümlichen Traurig¬ 
keit befangen. 
„Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen Vögeln! Und sie 
werden mich totschlagen, weil ich, der ich so häßlich bin, mich ihnen zu 
nähern wage. Uber das ist einerlei! Besser, von ihnen getötet als von 
den Enten gezwackt, von den Hühnern geschlagen, von dem Mädchen, 
welches den Hühnerhof hütet, gestoßen zu werden und im Winter 
Mangel zu leiden." Und es flog hinaus in das Wasser und schwamm 
den prächtigen Schwänen entgegen; diese erblickten es und schossen mit 
brausenden Federn auf dasselbe los. „Tötet mich nur!" sagte das arme 
Tier, neigte seinen Kopf der Wasserfläche zu und erwartete den Tod. — 
Uber was erblickte es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild 
unter sich, das kein plumper, schwarzgrauer Vogel mehr, häßlich und 
garstig, sondern selbst ein Schwan war. 
Es schadet nichts, in einem Entenhofe geboren zu sein, wenn man 
nur in einem Schwanenei gelegen! 
Es fühlte sich erfreut über all die Not und Drangsal, welche es 
erduldet. Nun erkannte es erst recht sein Glück an der Herrlichkeit, die es
	        
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