Full text: [Teil 4 = (5. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (5. Schuljahr), [Schülerband])

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Schrecken. Keiner rührte sich, als die geheimnisvollen Männer ein 
Pergamentblatt, an dem ein grellrotes Siegel hing, an die Pforte 
hefteten und einen Pfennig mit dem Bildnis des Kaisers in den Riegel 
schoben. Sie schnitten dann drei Späne aus den Pfosten und ver¬ 
schwanden ebenso schnell und leise, wie sie gekommen waren. 
Das Pergamentblatt enthielt die Ladung des Stuhlherrn an den 
Qaugrafen Boto von Ruheneck, am Dienstag nach Sankt Petri vor 
ihm zu erscheinen. Der Pfennig, der das Kaiserbild zeigte, be¬ 
deutete, daß das geheime Gericht im Namen des Kaisers geschehe, 
und die Späne mußten die Männer, die Fronboten, dem Freigrafen 
überbringen zum Zeichen, daß seine Ladung vollbracht war. 
Der Gaugraf saß, als ihm der Torwächter das Pergamentblatt 
reichte, beim Zechgelage; er ergriff den Humpen aus veneziani¬ 
schem Glas, der mit edelstem Rheinwein gefüllt vor ihm stand, 
leerte ihn auf einen Zug und schrie: „Ich trinke auf die Vernichtung 
der geheimen Feme!" 
Dann warf er das Glas gegen die Wand, daß es in Scherben 
zersplitterte, und rief: „Ich werde der Ladung folgen!“ 
Am Dienstag nach dem Sankt Petrifeste saß der Freigraf Rolf 
von der Kemnade wieder mit den sieben Freischöffen unter den 
vier Linden und wartete auf das Erscheinen des verfemten Gau¬ 
grafen von Ruheneck. 
Die Wiese, in deren Mitte der Malplatz lag, war wieder mit 
Bewaffneten gefüllt, und Rüdiger vom Berge, der mit Giso und Frau 
Gerhilde gekommen war, die wieder Männertracht trug, sagte zu 
dem Jüngling: 
„Heute wirst du vor dem Freigrafen stehen. Du mußt selbst 
die Klage wider den Gaugrafen führen. So ist’s Femsatzung." 
„Was geschieht, wenn der Gaugraf nicht erscheint?" fragte Giso. 
„Dann mußt du das Vollgericht fordern," erwiderte der Frei¬ 
schöffe, „das Urteil der Femrichter, daß das Recht auf deiner Seite 
steht!" 
„Welche Strafe trifft den Gaugrafen, wenn er der Ladung des 
Freistuhles nicht folgt?" fuhr Giso fort. 
„Die geheime Acht — der Tod durch die Wyd!“ war die Antwort. 
Der greise Freigraf spannte wieder die Bank, und die Fron¬ 
boten drängten die Dingpflichtigen vom Malplatze, die sich wieder 
am Waldessaum aufstellten und ihre Waffen bereit hielten. 
„Warum tragen die Männer ihre Schwerter gezückt?" fragte 
Giso den Freisassen, während seine Mutter ihnen zum Walde folgte. 
„Es zeigt sich doch weit und breit kein Feind!"
	        
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