Full text: [Teil 4 = (5. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (5. Schuljahr), [Schülerband])

184 
„Das ist Brauch und Not bei den Femgerichten,“ erwiderte 
er. „Es ist schon häufig vorgekommen, daß die Reisigen eines 
Verfemten statt ihres Herrn erschienen sind und uns aus dem Hinter¬ 
halt überfallen haben, um uns zu töten. Die Dingpflichtigen müssen 
Wache halten, während wir Freischöffen unseres heiligen Amtes 
walten." 
Das Femgericht begann. 
Giso trat vor den Tisch, auf dem das blanke Schwert und der 
aus Weiden geflochtene Strick, die Wyd, lag, ließ sich auf sein 
rechtes Knie nieder, berührte Schwert und Wyd und sprach: 
„Ich heische das heimliche Gericht und schwöre, daß meine 
Klage Femfrage ist!" 
Der Freischöffe Rüdiger vom Berge erhob sich vom Sitze und 
beschwor, daß Gisos Eid rein sei. 
„Wen klagst du an, daß er wider deine Ehre, dein Recht und 
deinen Leib gehandelt hat?" fragte der Freigraf. 
Giso erwiderte: „Ich klage den Gaugrafen Boto von 
Ruheneck an!" 
Der Freigraf rief: „Boto von Ruhenek, ich heische dich vor 
meinen Stuhl!" 
Tiefe Stille lag über den Malplatz gebreitet, nachdem dieser Ruf 
verklungen war, und Freigraf wie Schöffen blickten nach dem Wald¬ 
saume; dort mußte der Gaugraf erscheinen. 
Die Sonne stand schon hoch am Himmelsbogen, es wurde 
Mittag, und die Femrichter harrten regungslos wie Steinbilder aus. 
Sie warteten bis zur vierten Nachmittagsstunde, wo der Sonnen¬ 
ball sich zum Niederrollen neigte* 
Der Freigraf sprach: „Der Gaugraf Boto von Ruheneck ist nicht 
gekommen. Giso, was forderst du von uns, da der Geladene sich 
nicht gezeigt hat?" 
Giso trat vor den Tisch und sagte: „Stuhlherr und Freischöffen 
des geheimen Gerichts, ich fordere das Vollgericht. Sprecht das 
Urteil, daß das Recht auf meiner Seite sei und bleibe!" 
Rüdiger vom Berge kniete, sich von seinem Sitze entfernend, 
neben Giso nieder: „Der Gaugraf hat das heimliche Gericht ver¬ 
schmäht. Seine Missetat verdient Galgen und Tod!" 
Er erzählte dann die Frevel, die der Gaugraf an Richmar und 
seiner Ehefrau verübt hatte, und schloß: „Daß dies wahr ist, des 
helfe mir Gott und seine Heiligen!" 
Freigraf und Freischöffen riefen: „Das Vollgericht soll ge¬ 
schehen !"
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.