Der Baum, der dir Früchte trägt, ist doch wohl wert, gleicher¬
maßen behandelt zu werden. Darum sieh ihn nicht als einen Feind
an, der zu plündern und zu berauben ist, sondern er sei dir ein
guter Freund, dem du säuberlich und freundlich die Last abnimmst,
die er auf seinen Zweigen trägt./ Keinen schmählicheren Anblick
gibt’s, als einen armen Strauch oder Baum, von dem rohe Hände,
vielleicht um noch unreifer Früchte willen, die Zweige herunter¬
gerissen und abgebrochen haben.
Geh freundschaftlich mit dem Baume um! Es gräme dich
nicht, sitzen zu lassen, was du nicht erreichen kannst./ Verloren
geht es doch nicht; ein Vogel oder ein Eichhorn oder sonst ein
armer und scheuer Gast wird es sich vor dem Winter schorFhoIen. |
Und wenn du eine Leiter ansetzest, so sieh zu, daß sie wohl ge¬
stützt sei. Kämet ihr beide, die Leiter und du, plötzlich von oben
herunter, so würdet ihr große Verheerungen unter den unten
stehenden Gewächsen anrichten und auch wohl selber zu Schaden
kommen.
86. Ein Abendgang des Iltis. Von Hermann Wagner.
Entdeckungsreisen in Feld und Flur. 12. Auflage. Leipzig 1905. S. 81.
Es ist Abend geworden, und die Schatten der Nacht legen sich
wie ein grauer Mantel über Feld und Flur. Lerchen und Reb¬
hühner ruhen in den Furchen des Ackerlandes, und du meinst, alles
schlummere in süßem Frieden, alles träume süß vom Sonnenschein
und Blumenduft des Tages. Du irrst dich; denn auf dem Felde
gibt es einen Unhold, der den Schlaf der friedlichen Tiere stört und
die sorglosen mordet: es ist der Iltis.
Zwischen den breiten Klettenblättern der Hecke hindurch schim¬
mern zwei grünlichblaue Flämmchen, das sind die Augen des
tückischen Mörders. Im dichten Strohdach der Scheune hat das
Tier den ganzen Winter über ein warmes Lager gehabt. Zum Dank
für das Quartier würgte es dem Bauer die beste Henne, stürzte
ihm den Bienenkorb um und fraß den Honig. Jetzt zieht der Iltis
mit dem Anfang des Sommers ins Feld, mordlustig und blutdürstig
wie der wildeste Kriegskriecht und Raubgesell.
Dein scharfes Auge erkennt beim matten Schimmer der Mond¬
sichel die schlanke Gestalt des Tieres. Bedächtig und leise hebt
er die Beine, und von seinen Sprüngen hörst du nicht das min¬
deste Geräusch; die behaarten Sohlen seiner Pfoten geben ihm
einen weichen Tritt, wie ihn die Katze hat. Bei jedem Sprunge
biegt sich der schlanke Leib im Bogen nach oben; er gleitet zwischen
Gras und Kräutern hindurch gleich einer schwärzlichen Schlange.