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der glänzenden und ehrenvollen Verteidigung, wurde die Forderung
bewilligt. Neugierig pflanzten sich sämtliche Spanier unten am Turm
aus, um endlich ihre tapferen, geheimnisvollen Feinde von Angesicht zu
Angesicht zu schauen. Die Trommeln wirbelten, jetzt sollte die feierliche
Übergabe stattfinden. Man hört mühsam einen Schlüssel sich drehen,
eine Türangel knarrt, die Turmtür oben tut sich auf, eine Leiter senkt
sich hernieder, und die Besatzung klettert würdevoll die Sprossen herunter:
ein alter, bärtiger Feldwebel voran, ihm folgte sein Weib und nach dem
Weibe eine dürre Geiß, niemand mehr und niemand weniger! Diese
drei waren die einzigen Insassen des Turmes gewesen. Oben auf dem
Turm war ein Grasplätzchen, und einige Sträucher waren aus der
Mauer entsprossen; von dem Laube, dem Grase und dem aufgefangenen
Regenwasser lebte die Ziege, und die Milch, welche dies nützliche Tier
spendete, stillte in Verbindung mit dem mäßigen Eßvorrat Hunger und
Durst des biederen Ehepaares. Endlich hieß es: die Alp ist abgeweidet!
Immer dürrer wurde das segenspendende Tier, auch immer spärlicher
das Pulver, und so entschloß man sich und hißte die weiße Flagge auf.
Die Spanier wußten lange nicht, ob sie lachen oder sich für verhöhnt
ansehen sollten; doch ihr Oberster entschied, daß den drei Tapfern nichts
Böses geschehen solle, denn sein Wort müsse er halten.
34. Der MöncK heNlerbacK. von Karl yeUei.
Sagen und Geschichten des Rheintals von Mainz bis Cöln. Bonn 1904. 8. 210.
3m Kloster Heisterbach war einmal ein Mönch, der grübelte immer¬
während über die Ewigkeit und Unendlichkeit und konnte nicht be¬
greifen, daß es im Psalmwort heißt: „Tausend Jahre sind vor dir wie
der Tag, der gestern vergangen ist." Einmal wandelte er wieder, in
solche Gedanken versunken, im Klostergarten. Da hörte er ein Vöglein
fingen, so schön, wie er nie zuvor eins gehört hatte, und sah es von
Ast zu Ast hüpfen, immer singend. Diese süßen Töne nahmen ihn so
gefangen, daß er seiner Grübeleien vergaß und dem Vöglein langsam
nachging, zur offenen Pforte in der Klostermauer hinaus, immer tiefer
in den Buchenwald hinein, den man auch den Heisterbacher Mantel
nennt. Endlich dachte er, es sei jetzt Zeit umzukehren, denn es dunkelte
schon, und die Stunde der Abendmahlzeit, meinte er, müsse schon ge¬
kommen sein. Da kehrte er um, aber das Törchen in der Mauer war
verschlossen, und er machte den weiten Bogen außen um die Kloster¬
mauer herum. Wie er an das eigentliche Tor kam — sonderbar! Das
sah ganz anders aus als sonst, und der Bruder Pförtner hatte auch
ein ganz anderes Gesicht. Der sah ihn erstaunt an und fragte ihn, was
er wolle, und wer er sei. Da merkte er, daß seine Schritte klein waren
und sein Gang schwankend, seine Haltung gebückt und sein Bart lang