Full text: [Teil 3 = Kl. 7, [Schülerband]] (Teil 3 = Kl. 7, [Schülerband])

und schneeweiß. Der Bruder Pförtner führte ihn zum Abt, allein auch 
der Abt hatte ein ganz anderes Gesicht. Der Mönch nannte seinen 
Namen, den kannte aber der Abt gar nicht; endlich, wie er in den alten 
Klosterregistern nachgeschlagen hatte, sagte er: „So hieß seit dreihundert 
Jahren kein Bruder mehr; der letzte, der so hieß, war ein Zweifler, er 
ist fortgegangen und nicht wiedergekommen." Da dämmerte es ahnungs¬ 
voll und schaurig in der Seele des alten Mönches. „Tausend Jahre 
sind vor dem Herrn wie ein Tag!" sprach er in unheimlichem Tone, 
und er sank entseelt zu den Füßen des Abtes. 
35. ver Spielmann. Von Mttkelm SckLfer. 
Rheinsagen. Berlin 1908. 8. 9. 
3n Mainz ein Spielmann war so alt und wunderlich, daß keiner mehr 
nach seiner Geige tanzen mochte. So ging er auf die Straßen gleich 
einem Bettler und spielte seine Lieder den Leuten vor, die da vorüber¬ 
gingen. Doch weil schon damals jeder seine eigene Plage auf dem Rücken 
trug, so gab es wenig Ohren, die ihn geigen horten, und noch weniger 
Batzen in den Hut, so daß er immer mehr den bittern Hunger leiden 
mußte. Da ging er eines Tages in die Kirche, der Mutter Gottes seine 
schwere Not zu klagen. Und wie er vor dem Gnadenbild die Kerzen sah 
und das Geschmeide, was ihr geopfert worden war, und seine Taschen 
waren leer: da nahm er seine Geige vor und dachte, sie möchte wohl um 
seiner leeren Armut willen sich mit seinem Spiel begnügen, wenn auch 
die Menschen es nicht mehr von ihm begehrten. So fing er gläubig an 
zu geigen, und obwohl die Hand sehr mit dem Bogen zitterte, so floß die 
Traurigkeit mit in sein Spiel, so daß er selber dabei fröhlich wurde wie 
in der Jugend. Da sah er, wie die milden Augen liebreich nach ihm sahen 
und wie die schmalen Lippen freundlich lächelten. Und als er fertig war 
mit seinem Lied, da warf sie ihm den goldenen Schuh von ihrem Fuß 
herunter. Obwohl er wunderlich erschrocken war, nahm er ihn eilends 
auf als ihre Gabe und ging zum Goldschmied, um ihn einzulösen. 
Wie der den alten Mann besah, schien ihm der goldene Schuh ver¬ 
dächtig, so daß er nach den Häschern schickte. Die nahmen ihn sogleich 
gefangen, und weil dem alten Mann das Märchen von dem Schuh kein 
einziger glauben wollte, so wurde er am dritten Tage mit einer Schlinge 
um den Hals hinausgeführt. Da bat er sich als letzte Gnade aus, daß 
er noch einmal vor dem Gnadenbilde spielen dürfe; und weil den Men¬ 
schen die letzte Bitte eines, der vom Leben geht, von jeher heilig war, so 
ließen sie den alten Mann gewähren, obwohl sie seine wunderliche Art 
verspotteten. Doch wie die Häscher noch lachend mit ihm vor dem Bilde 
standen und ihm die Geige gaben, trotzdem der Strick ihm an dem Halse 
hing, fing er an, das gleiche Lied zu spielen. Und wieder sahen ihn die
	        
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