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Erzählungen
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13. Die Amatigeige. Von Emil Frommel.
Allerlei Sang und Klang. 4. Auflage. Berlin 1899. 8. 178.
J Cremona in Italien lebte seinerzeit der berühmte Meister Amati,
dessen Violinen durch die ganze Welt gingen und Tausender Herz ent—
zückt und zu Tränen gerührt haben, d. h. wenn sie einer zu spielen wußte.
Denn so eine Violine ist ein totes Ding, wenn nicht eine seelenvolle Hand
drüber kommt. Es schlummern die süßesten Töne drin, aber sie müssen
aus dem Schlafe geweckt werden. Nun hat solch ein Werkmeister seine
guten, aber auch seine schweren Stunden, wo er nicht bloß der Welt Lob,
sondern auch ihren Schimpf und Undank erfährt. So mag es dem Meister
Amati auch gegangen sein, daß vielleicht mancher Künstler mit einer feinen
Geige durchgegangen und er das Nachfehen hatte. Kurz, als er sein Ende
nahe fühlte, nahm er sein letztes Werk, eine herrlich gebaute Violine, besah
sie noch einmal von allen Seiten und sagte dann: „Alle Töne, die in dir
sind, sollen schlafen und schlummern; aber an einem Weihnachtsheiligabend
sollen sie einmal geweckt werden, und dann werden sie dem Besitzer großes
Glück bringen.“ Bald darauf entschlief der Meister; aber die Seinen
zeichneten diese letzten Worte auf, und der Zettel wurde an der Violin—
angebracht. So ging sie in der Familie von Hand zu Hand; aber ihre
Töne waren hart und herb: so viele Meister sie in der Hand hatten, jeder
legte sie wieder weg und sagte: „Das ist sein Lebtage keine Amati.“ —
So kam die Geige an einen armen Nachkommen, der mit einer
wandernden Bande nach Deutschland zog. Er war schon ein alter Mann,
den sein einziges Kind, ein Mädchen von zwanzig Jahren, begleitete; er
hatte sie nicht zurücklassen wollen, als die Mutter starb. In einer Stadt
des Nordens erkrankte der alte Geiger schwer, die Bande zog weiter und
ließ ihn zurück. Das Ersparte ging nach und nach drauf, der Mann
stand von der Krankheit wohl auf, aber er blieb seelengestört und halb
wirr. Sein einziger lichter Gedanke war, daß einmal noch die Töne aus
seiner Amatigeige frei würden. Drum konnte er sich von ihr nicht trennen,
wiewohl ihm der Hunger oft bis an die Seele ging und die Violine noch
das einzige Stück zum Verkaufen war. Aber der Gedanke, daß dann bei
einem andern als ihm die Töne frei werden könnten, ließ ihn lieber das
Ärgste ertragen. „Ich werde Euch dreißig Taler geben für das schlechte
Instrument, weil Ihr es seid, Giovanni,“ sagte ein Händler zu ihm im