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Aus der Götterlehre der Griechen und Römer.
drei und fragt ihn abermals, ob er die übrigen sechs um denselben
Preis zu kaufen geneigt sei. Dies findet der König tioch mehr zitm
Lächelt und äußert ganz laut, die Alte müsse ohne Zweifel nicht recht
bei Verstände sein. Das Weib wirst abermals drei der Bücher ins
Feuer und stellt in aller Ruhe dieselbe Frage, ob er nunntehr für den
Rest der Bücher die geforderte Summe zahlen wolle. Jetzt wird des
Tarqninius Miene ernst, sein Geist nachdenklicher. Er fühlt es deiltlich
heraus, daß hinter solcher Ruhe und Zuoersichtlichkeit etwas von Be-
dentnng verborgen sein müsse, itnb ersteht die letzten drei Bücher. Das
Weib entfernt sich daraus, und niemand hat es je wiedergesehen."
Das erzählt ein römischer Schriftsteller von der Herkunft der
sibyllinischeu Bücher, durch die in Rom überhaupt erst die Ver¬
ehrung des hellenischen Apollon eingeführt ward; denn die Römer hatten
ursprünglich keinen Gott, der mit jenem hätte verglichen werden können.
Im Jahre 432 v. Chr. setzten eine große Pest und ein Erdbeben in
Italien die Gemüter der Menschen in Schrecken. In dieser Not zog
man die sibyllinischen Bücher zu Rate, und diese wiesen ans Apollon
hin, den Pestabwehrer und Hilfespender der Griechen. Zu ihm erhob
nun das geplagte Volk betend die Hände, und ihm weihte man im
Jahre 429 als dem Apollo Medicns, dem Heilgotte, in Rom den
ersten Tempel, und in der Osfenbarnng noch unbekannter Heilmittel
schien den Römern der republikanischen Zeit die Hanpteigenschaft des
Apollo zu liegen.
80. Janus.
H. Dütjchke, Der Olymp.
Janus war llrsprünglich bei den Völkern Italiens der Gott des
Himmels und der Sonne. Als solcher war er allsehend und daher
kam es, daß man zu einer Zeit, wo man noch unbehilflich in der bild¬
lichen Darstellung war, den Janus durch einen Kopf mit einem Doppel-
gesicht kennzeichnete, um anzudeuten, daß das Licht oder der Blick der
Sonne nach allen Seiten hindringe. Aber allmählich ward diese seine
Bedeutung vergessen; Jupiter und seine Gattin Inno traten an seine Stelle
unb standen als die Himmelsgottheiten an der Spitze des gesamten
Götterkreises.
Nun blieb nur noch eine dunkle Erinnerung an den alten Gott
des Lichtes übrig. Wo das Himmelslicht erglänzte, da fühlte man die
Macht des Janus, und so nannte man jede Lichtöffnung, jeden Thor¬
bogen, also auch die Thür „Janus" oder „Janua". Jeden Morgen
richteten die Priester ihr erstes Gebet an den „Morgenvater", und so
ward ihm auch jeder Neumondtag geweiht, tveil an ihm das neue Licht