190
Beschreibungen und Schilderungen.
83. Das Heidekraut.
Nach H. Wagner, Entdeckungsreisen im Wald und auf der Heide.
„Grills Gott dich, deutsche Heide,
und segne deinen Sand,
, dass Männer daraus wachsen
zur Wehr fürs deutsche Land.“
Was ist das Heideland für ein unfruchtbares Gebiet! Sand und
wieder Sand bedeckt tief die weite Fläche. Der Fuss sinkt bei jedem
Schritte tief ein und ermüdet schon bei einem kurzen Marsche. Das
Licht der Sonne wird blendend vom weifsen Sande zurückgestrahlt,
und wir Schliessen unwillkürlich die schmerzenden Augen. Der Wind
hat Sandwellen aufgebaut; wir haben ein kleines Abbild der grossen
Wüste vor uns, die im fernen Afrika der Schrecken der Wanderer ist.
Werden wir in der sandigen Heide auch Entdeckungen machen,
die Geist und Herz erfreuen? Werden wir im dürren Sande noch
etwas anderes linden als verwehte Fusstritte und verkrüppelte Kiefern,
die hier kümmerlich ihr Leben fristen?
Wir lassen uns zu kurzer Rast nieder auf dem weichen, warmen
Boden. Das Kieferngebüsch gewährt ein wenig Schatten, auch neigt
sich ja schon etwas die Sonne, und ihre Strahlen werden weniger
sengend. So -ruht der Wüstenreisende zur Nachtzeit auch auf dem
grossen Sandbett weich und warm, und der blaue Himmel ist sein
Zeltdach. Von dort leuchten ihm freundlich die Sterne, die ihn auch
in seiner Heimat begrüfsten: der Gürtel des Orion und der helle
Sirius. Er träumt im Sande des fremden Landes von den Märchen
seiner Kindheit, vom „Tischchen, deck dich!“ das er hier gut brauchen
könnte, vom armen Aschenbrödel, seiner schlimmen Stiefmutter und
von anderen.
Wir nehmen ein wenig von dem Sande am Boden auf und
lassen die Körnchen aus einer Hand in die andere rieseln. Wir ge¬
denken der Sanduhr, der Dünen am Meere, des Samums der Sahara
und vieles anderen. — Halt! was ist dies für ein braunes Körnchen
mitten unter den weifsen, glänzenden Sandstäubchen? — Es ist ein
Samenkorn vom Heidekraut. Es ist das arme Aschenbrödelchen im
unscheinbaren Gewände, und die dürre Heide ist seine Stiefmutter,
die ihm kümmerliche Fliege gewährt bei schwerer Arbeit.
Wollen wir das Samenkorn genauer betrachten, müssen wir das
Vergröfserungsglas zu Hilfe nehmen. Durch dieses sehen v wir, dass
es fast dreieckig ist und an seiner Oberfläche winzige Härchen trägt.