10. Prometheus.
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sie das flutende Meer befahren könnten. Ferner zeigte er ihnen
heilsame Kräuter, von denen sie wirksame Arzneien bereiteten. Dann
lehrte er sie die Träume, den Vogelflug und gewisse Zeichen an den
Opfertieren deuten. Weiter richtete er ihren Blick auf das Eisen,
Silber und Gold, das in der Erde lag, und endlich gab er ihnen die
Schrift und die Zahlen. So führte er seine Geschöpfe allmählich zu
höherer Bildung.
Bald bemerkten die Götter das rege Treiben der Menschen, die
mittels der erlernten Künste ihr Leben mit allerlei Annehmlichkeiten
auszustatten verstanden. Sogleich verlangten da die Unsterblichen
von jenen Verehrung und Opfer für den Schutz, den sie ihnen zu
gewähren bereit waren. Prometheus ging darauf ein, versuchte aber
bei einem Opfer den obersten Gott um den besseren Teil des ge¬
schlachteten Tieres zu betrügen.
Über diesen Frevel empört, rächte sich Zeus dadurch an Pro¬
metheus, dass er den Sterblichen das Feuer versagte. Ohne diese
himmlische Gabe konnten sie indessen niemals zu vollkommener
Gesittung gelangen. Doch auch dafür wusste der schlaue Prometheus
Rat. Er nahm den mit Mark gefüllten Stengel des Riesenfenchels
und brachte diesen, indem er ihn dem Sonnenwagen näherte, zum
Glimmen.
Mit dem gestohlenen Himmelsgute kam er herab auf die Erde
und entzündete einen Holzstoss, dessen Flammen gen Himmel loderten.
Dies schmerzte in innerster Seele den höchsten Gott; denn er ver¬
mochte das Feuer den Menschen nicht wieder zu entreissen. Doch
beschloss er, sich dafür an ihnen und dem Frevler Prometheus zu
rächen. Hephästos, der wegen seiner Kunstfertigkeit berühmte Feuer¬
gott, musste ihm eine schöne Jungfrau formen, und alle Götter ver¬
liehen ihr Gaben, die ihr zur Zierde gereichten. Zeus nannte sie
Pandora, die Allbeschenkte, und liess sie durch Hermes, den Götter¬
boten, Epimetheus, dem Bruder des Prometheus, zuführen. Epimetheus
nahm sie, obgleich er von diesem gewarnt worden war, in sein
Haus auf.
Gar bald erkannte Epimetheus, dass er unter der Gestalt eines
Gutes ein blendendes Übel erhalten hatte. Denn kaum hatte Pan¬
dora den Deckel des Gefässes, das sie in ihren Händen trug, zurück¬
geschlagen, als diesem eine Schar von Übeln entflog, die sich über
die ganze Erde verbreiteten. Die Menschen, die bisher in Ruhe und
Behaglichkeit gelebt hatten, wurden nun von einem ganzen Heer
von Übeln, insbesondere aber von beschwerlicher Arbeit und quälen¬
den Krankheiten heimgesucht. Doch ein Gut blieb in dem Gefässe
zurück, als Pandora den Deckel rasch wieder schloss, es war die
Hoffnung, die alle Leiden zu lindern vermochte, indem sie die Aus¬
sicht auf eine bessere Zukunft eröffnete.