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3. Die Birke.
hell singt das Rotkehlchen vom Wipfel des Lärchenbaumes, der Weiden¬
zeisig im Erlengebüsch. Dazwischen trillert der Hänfling, kollert die
Baummeise, jubelt der Distelfink, quiekt der Zaunkönig, piept das Gold¬
hähnchen, trommeln die Spechte.
Wenn aber am Mittage die Sonne heiß auf den Boden scheint,
dann kommen auch für den Wald einige Stunden der Ruhe. Leise
nur zittern einzelne Blätter. Hier und da zieht ein Schmetterling durch
das sonnige Grün dahin; dort flirrt eine goldglänzende Fliege oder
eine blauschimmernde Libelle. Still nagt die Raupe am jungen Blatt.
Sonst herrscht eine ängstliche Stille. Friedrich v. Tschudi.
3. Are Wirke.
Welch gewaltiger Unterschied zwischen der knorrigen, trotzigen
Eiche, der festgewurzelten Buche und der zierlichen Birke! Schlank
und leicht hebt sich der duftende Baum unter seinen Kameraden empor.
Der runde Stamm ist mit glatter, weithin leuchtender Rinde überzogen,
deren freundliches Weiß weder durch unschöne, knorrige Auswüchse,
noch durch klaffende Sprünge oder schmarotzendes Moos unterbrochen
wird. Die hängenden Zweige verschlingen sich vielfach ineinander
und bilden dadurch die lichte, luftige Krone. Den Charakter der An¬
mut und Lieblichkeit erhält unser freundlicher Waldbaum besonders
durch jene zierlichen, elastischen, lang herabwallenden Zweige, die man
fast mit einem zarten, leicht beweglichen Gewände vergleichen möchte.
Während den Stamm das weiße Kleid umhüllt, sind die Äste von
brauner Rinde überzogen, die mit zahlreichen, duftendes Harz ab¬
sondernden Drüsen bedeckt ist. Die kleinen, dreieckigen Blätter sind
am Rande sein gesägt und zeichnen sich durch ihre Glätte aus beiden
Flächen aus.
Auffallend ist die ewige Beweglichkeit im Gezweige der Birke.
Ein endloses Aus- und Niederwallen, Drehen und Wenden, Wispern,
Flüstern und Rauschen belebt den Hain; scheint es nicht, als hätten
die einzelnen Bäume sich Geheimnisse auszuplaudern? Die Tiere des
Waldes lieben den munteren Baum; das zierliche, flinke Reh ruht in
seinem Schatten; das prächtige Birkhuhn legt sein Nest unter seinem
Schutze an, und die Vögel schaukeln sich auf seinen Zweigen.
Und auch den Menschen ist die Birke ein Liebling geworden. Bei
uns setzt man den in lichtes Grün gekleideten Erstling des Früh¬
lings zu Pfingsten als duftende Maie vor die Häuser und in die
Zimmer oder bindet seine Zweige zu Sträußen zusammen, um
mit ihrem Dufte das Haus zu erfüllen. Allein die Birke gewährt
auch mannigfachen Nutzen. Ihr festes, weißes Holz wird gern ver¬
arbeitet und zeichnet sich durch seine zierlichen Masern aus. Aus dem