6. Pfingsten.
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erregt. Mit jedem Schlage des Donners fahren die flammenden Blitze
Strahl auf, Strahl aus, durchkreuzen die fchwülen Lüfte, schlängeln
sich an den Spitzen der Berge herab und werfen Feuer in die ödesten
Abgründe. Die Schleusen des Himmels lösen sich von ihrer Last und
stürzen in ganzen Fluten herab, und indem die Wolken unter den:
Kampfe der Winde von einer Gegend in die andere sich fortjagen, tobt
das wilde Geplätscher auf den dürren Erdboden herunter.
Aber nach dem tobenden Gewitter, welche Anmut erscheint nicht
in der ganzen Natur! Die finstern Gewölle zerteilen sich, bestrahlt
von einem glänzenden Lichte; eine lächelnde Heiterkeit, die alles erfreut,
breitet sich am ganzen Himmel aus; ein blaues Gewand, von bunten
Streifen durchwebt, bricht hinter dem zurückwallenden Vorhang hervor
und spiegelt sich wieder auf dem beruhigten Gewässer. Flüchtige
Schatten lausen über Thäler und Hügel und Wiesen, von einem leichten
Schimmer verfolgt; bald liegt die Landschaft in einer sanften Dämme¬
rung, bald erscheint sie wieder in einem goldenen Lichte. Wie dort
der schöne Bogen sich über den Horizont ausspannt, wie seine malerischen
Farben in einem doppelten Abglanz spielen und in der klaren Flut
der See Widerscheinen! Das nahe Gebirge, das sich in die Wolken
erstreckt, nimmt eine ungewöhnliche Freundlichkeit an, verjüngt von der
hellen Pracht, mit der es der erste Bote des versöhnten Himmels über¬
streut. Die gekühlten Lüste tröpfeln noch von einigen Regenstäubchen;
die Gipfel der Berge und die erquickten Gefilde schimmern weitumher
von der Nässe der Wolken; die Gebüsche blitzen im Sonnenscheine von
kleinen Sternchen und regnen, von gaukelnden Westen bewegt, von
neuem den zu schweren Reichtum der Tropfen herab. Das Gras, die
Blumen, die in einer traurigen Mattigkeit zu verwelken schienen, die
ganze Natur fühlt die wohlthätige Erfrischung; alle Gewächse heben
sich wieder empor, und das Grün der Felder steht in einem helleren
Schmucke. Die Wälder erneuern ihre Freude; Scharen von Schwalben
schwärmen wieder im fröhlichen Fluge umher; die Herden schütteln die
triefende Wolle und blöken vor Wollust; tausend kleine Stimmen
schwirren in den Wiesen. Der Landmann eilt erfrischt wieder zu seiner
Arbeit; alles frohlockt über die angenehme Kühlung, und alle Kräuter
gießen Reichtümer von süßen Gerüchen aus. Hirsch selb.
6. Pfingsten.
Pfingsten ist das Fest der Freude! An keinem andern Feste ist
es draußen so schön, so duftig, so sonnig wie gerade zu Pfingsten.
Zur Weihnachtszeit schläft die Natur unter ihrer Schneedecke: kein
Blümchen erfreut unser Auge, kein süßer Vogelfang tönt an unser
Ohr; traurig und öd ist es draußen. Zu Ostern ist das Leben erst
im Erstehen: die meisten Bäume stehen noch kahl da; noch oft saust