Aus der Erdkunde.
74. Schreckliche Unglücksfälle in der Schweiz.
Johann Peter Hebel. Sämtl. Werke. 3. Band. Karlsruhe.
Hat jede Gegend ihr Liebes, so hat sie auch ihr Leides,
und wer manchmal erfährt, was an anderen Orten geschieht,
findet wohl Ursache, zufrieden zu sein mit seiner Heimat. Hat
z. B. die Schweiz viel herdenreiche Alpen, Käse und Butter und
Freiheit, so hat sie auch Lawinen. Der zwölfte Dezember des
Jahres 1809 brachte für die hohen Bergtäler dieses Landes eine
fürchterliche Nacht und lehrt uns, wie ein Mensch wohl täglich
Ursache hat, an das Sprüchlein zu denken: „Mitten wir im Leben
sind mit dem Tod umfangen.“ Auf allen hohen Bergen lag ein
tiefer frisch gefallener Schnee. Der zwölfte Dezember brachte
Tauwind und Sturm. Da dachte jedermann an großes Unglück
und betete. Wer sich und seine Wohnung für sicher hielt,
schwebte in Betrübnis und Angst für die Armen, die es treffen
wird, und wer sich nicht für sicher hielt, sagte zu seinen Kindern:
„Morgen geht uns die Sonne nimmer auf!“ und bereitete sich
zu einem seligen Ende. Da rissen sich auf einmal und an allen
Orten von den Firsten der höchsten Berge die Lawinen oder
Schneefälle los, stürzten mit entsetzlichem Tosen und Krachen
über die langen Halden herab, wurden immer größer und größer,
schossen immer schneller, toseten und krachten immer fürchter¬
licher und jagten die Luft vor sich her so durcheinander, daß
im Sturm, noch ehe die Lawine ankam, ganze Wälder zusammen¬
krachten und Ställe, Scheuern und Waldungen wie Spreu davon¬
flogen, und wo die Lawinen sich in die Täler niederstürzten, da